Ilisu: Andritz liefert ohne Staatsgarantie

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Knapp ein Jahr, nachdem die staatliche Exportgarantie abgelehnt wurde, gibt der heimische Anlagenbauer bekannt, trotzdem Turbinen für den umstrittenen Ilisu-Staudamm in der Türkei zu liefern. Kritiker reagieren wütend.

Wien (jaz/APA). Der Bau von Kraftwerken wird fast immer von Protesten begleitet, aber nur selten ist der Protest so stark und so international wie beim Ilisu-Staudamm in der Südosttürkei. Seit dem Jahr 1997 laufen die Planungen für den Damm, mit dem der Tigris auf einer Länge von 135 Kilometern gestaut werden soll. Der Strom des 1200-Megawatt-Kraftwerks soll laut türkischer Regierung die wirtschaftliche Entwicklung in der rückständigen Region vorantreiben. Kritiker sehen in dem Projekt jedoch einen „Monsterdamm“, durch den einerseits die antike Stadt Hasankeyf überflutet und andererseits die Umsiedlung zehntausender Menschen notwendig wird. Letztere soll zudem meist nicht nach internationalen Standards erfolgen.

Zwei Anläufe sind bereits gescheitert

Zwei Anläufe von Baukonsortien, den Damm zu errichten, sind bereits gescheitert. Das letzte Mal war im Sommer des Vorjahres Schluss, als die Exportversicherungen Österreichs (Kontrollbank), Deutschlands (Euler-Hermes) und der Schweiz (Serv) die Garantien für das Milliardenprojekt abgelehnt haben. In der Folge stoppten die westlichen Banken auch ihre Kredite für Ilisu. Doch schon damals kündigte die Türkei an, den Damm auf eigene Faust finanzieren und bauen zu wollen. Dies dürfte nun geschehen.

„Nach der zwischenzeitlichen Suspendierung der Lieferverträge sind nunmehr sämtliche Voraussetzungen für die Wiederaufnahme geschaffen“, schreibt Andritz am Dienstag in einer Adhoc-Meldung knapp. Damit sei gemeint, dass die Finanzierung und die Kreditversicherung unter Dach und Fach seien, heißt es auf Nachfrage der „Presse“ bei dem Anlagenbauer. Die Garantie wurde nun von einem privaten Versicherer übernommen. Diese sei auch nicht wirklich teurer als die staatliche Garantie, um die man im Vorjahr noch angesucht hatte.

Andritz wird demnach die elektromechanische Ausrüstung (sechs Turbinen und sechs Generatoren) im Wert von 340 Mio. Euro liefern. Verteilt auf die Projektlaufzeit von sieben Jahren entspricht das pro Jahr rund 1,5 Prozent des Gesamtumsatzes des Unternehmens. Allerdings ist Andritz inzwischen nur noch Lieferant der Teile. Beim zuletzt gescheiterten Anlauf war das heimische Unternehmen zumindest phasenweise noch der Konsortialführer. Diese Rolle hat nun der türkischen Baukonzern Nurol übernommen.

Es wäre „nicht verständlich, wenn wir uns nicht beteiligen würden“, sagt Andritz-Chef Wolfgang Leitner. Die Türkei habe als EU-Beitrittskandidat ein von allen Seiten anerkanntes Rechtssystem, durch das die Menschen bei den Umsiedlungen vor einem nicht rechtskonformen Vorgehen geschützt seien. Dass das Rechtssystem funktioniere, habe die Aufhebung mehrerer Grundstücksablösen zu Jahresanfang durch ein türkisches Gericht bewiesen.

Die Umweltverträglichkeit des Staudamms will Leitner nicht beurteilen. Dafür seien die türkischen Behörden zuständig. Und die historische Stadt Hasankeyf sei erst durch den Damm international bekannt geworden. Zuvor war der Ort „weder als Wiege der Menschheit noch als archäologisch besonders wertvoll“ eingestuft gewesen. Die lokale Bevölkerung habe die Steine sogar als Baumaterial verwendet.

Kritiker: „Andritz ist Schande für Europa“

Von den Gegnern des Damms – allen voran die Nichtregierungsorganisationen (NGO) ECA-Watch und WWF – wird die Ankündigung von Andritz, weiterhin Turbinen liefern zu wollen, jedoch scharf kritisiert. „Das Projekt ist noch lange nicht gebaut. Der Widerstand geht weiter. Wer am Untergang Hasankeyfs verdient, wird diesen Makel nicht mehr los. Derartige Profitgier darf sich nicht lohnen“, kündigt Ulrich Eichelmann von ECA-Watch in einer Aussendung an. Andritz sei durch sein Vorgehen eine Schande für Europa. Bei den Umsiedlungen würden die Menschen viel zu wenig Geld für ihre Häuser erhalten, sodass sie sich keine neue Unterkunft leisten könnten. Dies sei ja auch der Grund für die Ablehnung durch die staatlichen Kreditversicherer im Vorjahr gewesen. Und an dieser Situation habe sich auch nichts geändert. Andritz müsse damit rechnen, künftig von internationalen NGOs in einem Atemzug „mit wirklich schlimmen Firmen“ wie Exxon genannt zu werden.

Wie verhärtet die Fronten sind, zeigt etwa die Tatsache, dass sich sowohl Andritz als auch die NGOs gegenseitig vorwerfen, mit falschen Fakten zu operieren. So müssen laut Andritz beispielsweise 11.000 Menschen umgesiedelt werden – weitere 32.000 würden Weide- oder Ackerland verlieren. Die NGOs sprechen indes von bis zu 70.000 Menschen, die von einer Umsiedlung betroffen seien.

Man könne anderer Meinung sein, was den Umweltaspekt und die Umsiedlungen betrifft. Aber man dürfe nicht jeden als Verbrecher darstellen, der bei aufrechten staatlichen Genehmigungen etwas liefert, sagt Leitner. Abhalten lassen will sich Andritz von der negativen Publicity aber in keinem Fall. „Ansonsten wären wir für unsere Kunden unberechenbar“, heißt es.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2010)

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