Leitartikel

Der zynische Stellvertreterkrieg in Libyen gerät außer Kontrolle

Es braucht dringend neue Verhandlungen, um die Schlacht um Tripolis zu beenden. Doch Erdoğan, Putin, Macron & Co. haben daran wenig Interesse.

Die Forderungen waren mehr Freiheit, Mitbestimmung und Würde – und ein Ende der kleptokratischen Herrschaft des Langzeitmachthabers Muammar al-Gaddafi. Fast neun Jahre ist es her, dass der Aufstand in Libyen losbrach. Gaddafis Regime wurde mithilfe der Nato gestürzt, der Diktator von Rebellen misshandelt und umgebracht. Anfangs gab es danach mehr Freiheit, doch schon bald fielen die früheren Waffenbrüder der Opposition im Kampf um die Macht übereinander her.

Jetzt droht eine neue Eskalation: Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, kündigt an, notfalls türkische Soldaten zu entsenden, um Libyens Regierung der Nationalen Einheit beizustehen. Das wäre die nächste Stufe der Einmischung in einem Konflikt, in den von Beginn an zahlreiche externe Akteure verwickelt waren.

Seit Monaten tobt eine Schlacht um Libyens Hauptstadt: General Khalifa Haftar will Tripolis erobern. Die Einheitsregierung und verbündete Milizen wehren sich verbissen. Parallel dazu wird schon jetzt ein internationaler Stellvertreterkrieg geführt – wenn auch bisher nicht mit offenem Visier. Die neue gefährliche Waffe auf Libyens Schlachtfeld seien Kampfdrohnen, berichtete ein Pro-Regierungs-Soldat Ende August an der Front im Süden von Tripolis der „Presse“. Gelenkt werden die Fluggeräte von externen Beratern: Spezialkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate steuern Drohnen, die die Regierungstruppen angreifen. Das türkische Militär wiederum setzt seine Bayraktar-Drohnen gegen Haftars Soldaten ein.

Sollte Ankara nun tatsächlich auch mit Eliteeinheiten auf dem Boden eingreifen, würde das de facto einen offenen Kriegseintritt bedeuten. Erdoğan hat viele Gründe für sein Engagement. Vor Kurzem hat er mit Libyens Regierung ein Abkommen über die Aufteilung von Seegebieten im Mittelmeer und damit den Rechten auf Ausbeutung der Bodenschätze geschlossen. Er will klarerweise nicht, dass ihm sein Vertragspartner in Tripolis nun durch einen Sieg Haftars abhandenkommt. Doch seine Hilfe für die Einheitsregierung und die mächtige libysche Hafenstadt Misrata währt schon länger. Sie ist Teil seiner selbstbewussten Machtpolitik, mit der er seinen Einfluss in der gesamten Region stärken will: von Libyen bis Nordsyrien. Dazu gehören auch seine harschen Töne gegenüber der EU und den USA, denen er nun droht, sie aus dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik auszusperren.

Immerhin gilt Erdoğans Unterstützung der mit UN-Hilfe gebildeten, international anerkannten Regierung Libyens. Die wird offiziell auch von allen anderen Staaten als solche akzeptiert – zugleich unterstützen einige von ihnen aber Haftar. Dazu zählen nicht nur die Emirate und Saudiarabien, sondern auch Russland, das Söldner entsandt hat, und Frankreich. Italien steht auf der Seite der Einheitsregierung, andere europäische Länder und die USA sind in Warteposition: Angesichts der wichtigen Lage und des Bodenschatzreichtums Libyens will man, wenn alles vorbei ist, nicht auf der falschen Seite gestanden sein. Das hat wenig mit Moral zu tun, doch die ist in der internationalen Politik leider nur selten eine Kategorie.

Gegner der Einheitsregierung werfen ihr vor, sie müsse sich auf ein Bündnis mit teilweise kriminellen und jihadistischen Milizen stützen. Tatsächlich sind einige der Kämpfer in Tripolis von höchst zweifelhaftem Ruf. Haftars Angriff hat ihnen nun aber ein neues Argument dafür geliefert, sich auch in Zukunft nicht entwaffnen zu lassen. Und zwar: Wären wir nicht gewesen, wäre der General einfach durchmarschiert.

Ob Haftar bei einem Sieg in der Hauptstadt herzlich empfangen würde, ist fraglich. Wenn man im August mit Menschen in Tripolis sprach, war klar: Bei allem Unmut gegenüber den Milizen richtete sich die Wut vor allem gegen Angreifer Haftar. Weitere Kämpfe wären programmiert, militärisch ist der Konflikt kaum zu beenden. Dazu würde es neuer ernsthafter Verhandlungen bedürfen. Die externen Player müssten dabei ihren Einfluss auf ihre libyschen Partner geltend machen, um eine tragfähige Lösung zu erzielen. Doch dafür ist – angesichts der strategischen Eigeninteressen – die Motivation nur sehr gering.

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