Gastkommentar

Wer fürchtet sich vor der Rache der Natur?

(C) Peter Kufner
  • Drucken

Austerity im Namen der Klimarettung. Wenn vier Vaterunser den Asylgrund ersetzen und andere Beobachtungen zum Jahresausklang.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare"

Zum Jahresende einige Anmerkungen zu Themen, die 2019 politisch wichtig gewesen sind. Keine Angst: Ibiza, die FPÖ, die SPÖ, Türkis-Grün kommen nicht vor. Wohl aber Schule, Klima und Asylwerberlehrlinge.

Thema eins: Klima. Die Klimakonferenz in Madrid ist zu Ende gegangen, ohne dass die umwälzenden Entschlüsse gefasst wurden, die viele erhofft hatten und die die Welt vor dem angeblich nahenden Untergang retten könnten. Die Österreicher haben in diesem Jahr so viele SUV-Autos gekauft wie noch nie. Zu Weihnachten fliegen wieder Millionen Europäer, Amerikaner, Kanadier, in die warmen Länder und Asiaten in alle Richtungen. Hunderttausende andere werden die österreichischen Skigebiete bevölkern. Selbstverständlich werden die Eltern in die schönen Urlaube von den Kindern begleitet, die noch vor ein paar Tagen begeistert die Schule für den Klimaschutz geschwänzt haben. Zu Recht empfindet niemand „Flugscham“, denn per Segelschiff um die halbe Welt zu fahren, kann sich nur Greta Thunberg leisten.

Offensichtlich sind die Leute wenig beeindruckt von den Untergangsprophetien, mit denen sie seit Monaten überschüttet werden. Zeit also, wieder von der Panikstimmung zur Vernunft und von Utopien des gerade noch Denkbaren zur Politik des Machbaren zurückzukehren. „Visionäre Ausnahmepolitiker“, wie ein Leser dieser Kolumne kürzlich meinte, sollten wir uns besser nicht wünschen. Es muss mit den Politikern gehen, die wir haben. Ein Beispiel für eine einfache, aber effektive Klima-Maßnahme wäre etwa, die Wiener und Schwechater Taxis nicht mehr eine Fahrt vom bzw. zum Flughafen leer machen zu lassen. Damit könnten, so hat jemand errechnet, neun Millionen gefahrene Kilometer erspart werden.

Wie geht das Umdenken?

Das wäre freilich ein herber Einkommensverlust für die betroffene Branche und nicht einmal der allgemeine „Komfortverzicht“, von dem auf den großformatigen Anzeigen die Rede ist, die in Zeitungen erscheinen. Sie kennen sie: Ein Schauspieler oder sonst eine aus dem Fernsehen bekannte Person schaut Sie mit tragischem Blick an, die Männer mit Bartstoppeln und leicht fettiger Haut. Man ahnt, worum es geht: Es kann sich nur um „die drohende globale Katastrophe“ handeln. Die Personen werden als „Klimaaktivisten“ vorgestellt. Was sie da tun, außer solche Fotos von sich machen zu lassen, weiß man nicht. Auf einem der Bilder sieht eine Frau voraus: „Die Rache der Natur wird viele Menschenleben kosten. Wenn wir nicht bald umdenken und handeln“.

Wie stellt sich die Klimaaktivistin das vor, wenn die Natur sich „rächt“? Hat die Natur ein Bewusstsein, dass sie so einen Willensakt fassen könnte? Das Wort vom „Umdenken“ ist groß in Mode, aber es hat uns noch niemand erklärt, wie das geht, wenn man „umdenkt“. Ein Grazer Theologe regt sich sogar schon über die Kerzen auf dem Christbaum auf und dass wir zu Weihnachten „Unmengen von Tieren“ verspeisen und natürlich die Weihnachtsgeschenke in Papier verpacken, weil das alles „ökologisch höchst problematisch“ sei. Für den Klimaschutz ist anscheinend jede „Austerity“ erlaubt, mit der dieselben Leute sonst die Marktwirtschaft verteufeln.

Thema zwei: Schule. Kürzlich war ich mit einem meiner Enkel, dem siebenjährigen Adam, im Park am Laaerberg in Wien. Wir kamen beim Teich vorbei, an dem auf einer Tafel ausführlich erklärt wird, warum man Enten und Wasservögel nicht füttern darf. Adam las mir den eher komplizierten Text flüssig vor, nur beim Wort „Population“ stockte er. Er hatte es noch nie gehört oder gelesen, auch nicht in der Kinderzeitung der „Presse“, die zu seiner und seiner Cousins und Cousinen Lieblingslektüre gehört. Soweit nichts Besonderes. Dass ein Bub in der zweiten Volksschulklasse einigermaßen lesen kann, sollte selbstverständlich sein. Ist es aber nicht, wie wir aus der Pisa-Studie wieder einmal erfahren haben.

Ein Lehrer neben jeden Schüler

Aus den unzähligen Artikeln und Kommentaren zum Thema rinnen die Gemeinplätze („Bildung ist das wichtigste Zukunftsthema“), Empfehlungswunsch- und Sollen-Vokabel nur so heraus: „Die Schule“ (muss für Chancengerechtigkeit sorgen), „die Lehrer“ (sollten, könnten, müssten überhaupt alles), „die Kindergärtnerinnen“ (müssten akademisch gebildet werden), „die Politik“ (muss mehr Geld in sogenannte Brennpunktschulen stecken), „wir brauchen“ (ein zweites Kindergartenjahr). Selbst der sonst vernünftigen Agenda Austria fällt nichts anderes ein, als mehr Geld für die Schulen zu fordern, obwohl das österreichische Schulsystem ohnehin zu den teuersten der Welt gehört. Was sollen die Schulen mit dem vielen Geld machen? Fünf Lehrer in eine Klasse stellen oder besser gleich einen Lehrer neben jeden Schüler, bei dem daheim nichts Lesbares liegt, zumindest nicht auf Deutsch?

Niemand traut sich zu sagen, dass die Kinder nicht die Opfer von faulen, schlechten, indolenten Lehrern sind (die gibt es natürlich auch) oder von zu wenig Geld für Brennpunktschulen, sondern Opfer ihrer Eltern. Kinder aus Elternhäusern mit Büchern, einer regelmäßigen Vorlesepraxis und – horribile dictu – geringem Fernseh- und Smartphone-Konsum haben größere Chancen, lesen zu lernen, als solche, die womöglich die Einzigen in der Familie sind, die in der Früh aufstehen.

Die Lehrer stehen auf verlorenem Posten, wenn die Eltern nicht gezwungen (ja, gezwungen; gutes Zureden wird nicht reichen) werden, mit ihnen zu kooperieren und auch daheim etwas für das Lernen ihrer Kinder zu tun. Womit wir wieder bei der erwähnten Kinderzeitung wären.

Thema drei: Lehrlinge. Man kann es ein Roulette nennen: Der Afghane Ziaulrahman Zaland, der in Langenlois die Fachschule für Sozialberufe der Franziskanerinnen besucht, wird nicht abgeschoben, weil sich der Bundespräsident eigens für ihn eingesetzt hat. Und natürlich auch, weil er unter einer Art Klosterasyl geistlicher Schwestern steht. Ein ähnlicher Fall hat sich kürzlich in Schladming ereignet. Dort breiten evangelische Diakonissen ihren Schutz über einen Pakistaner aus. Bei anderen, die sich solcher Fürsprache nicht erfreuen, wird das Recht durchgesetzt.

„Was ist denn das für ein Rechtsstaat?“, klagten manche, die sich dafür einsetzten, dass Zaland bleiben darf. „Jemand, der gut integriert ist und den wir brauchen, soll abgeschoben werden.“ Man muss die Gegenfrage stellen: Was ist das für ein Rechtsstaat, in dem die Intervention des Bundespräsidenten und anderer Wohlmeinender dafür sorgt, dass das Recht nicht durchgesetzt wird? Und wo, so die schonungslose Diktion einer Kommentatorin der „Kleinen Zeitung“, „vier Vaterunser am Tag“ den Asylgrund ersetzen.

Man weiß nicht, was dazu im Regierungsabkommen stehen wird. Die im Nationalrat eben beschlossene Regelung, dass jene etwa 800 Lehrlinge, die kein Asyl erhalten haben, bis zum Abschluss ihrer Lehre bleiben können, darf jedenfalls nicht auf Dauer dazu führen, dass die Aufnahme einer Lehre das Asylrecht aushebelt.

Der Autor:

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.