1898, eine Familie in einem bürgerlichen Interieur mit Thonet-Holzmöbeln.
Wiener Möbel

Gebogene Ikonen: Thonets Beitrag zur Designgeschichte

Nicht erst das „Wiener Geflecht“ hat Wien und Thonet eng verwoben. Das MAK verortet jetzt den berühmten Namen noch woanders: in der Designgeschichte.

Ein großes Jubiläum ist schließlich auch in Wien angekommen. In einer Stadt, die ihren Namen kaum noch lösen kann von einer Möbel-Erfolgsgeschichte. Oder gar: von der Kulturgeschichte des Stuhls überhaupt. Spätestens seit dem „Wiener Kaffeehausstuhl“, dem Thonet-Möbel mit der Nummer 14 – dem Erfolgsmodell der letzten zwei Jahrhunderte, lang der meistproduzierte Stuhl überhaupt. Von Wien ging er in die Welt, nach Buenos Aires, New York, St. Petersburg. Gemeinsam mit der Technologie des Bugholzes. Und mitsamt gänzlich neuer logistischer und konstruktiver Ideen. In Wien selbst hat Thonet noch einmal einen besonderen Platz eingenommen, vor allem auch einen umfangreichen, im Wiener MAK: „Wir haben bestimmt eine der besten Thonet-Sammlungen weltweit“, sagt Sebastian Hackenschmidt, Kustos der MAK-Möbelsammlung. Gemeinsam mit Wolfgang Thillmann hat er die Ausstellung „Bugholz, vielschichtig. Thonet und das moderne Möbeldesign“ kuratiert.

Weltruf. Zweihundert Jahre zuvor, 1819, machte sich Michael Thonet in Boppard mit seiner Tischlerei selbstständig. Aus den ersten Jahren haben sich kaum Möbelstücke erhalten, erzählt Hackenschmidt, seit dem Jahr 1830 dann schon und immer mehr, doch am besten konserviert hat sich bis heute, quer durch alle sozialen Umstürze und weltpolitischen Wirren: der Name Thonet und sein Ruf. Den der löst sogar bei Menschen etwas aus, die fast nur Möbel kaufen, die „Billy“ oder so ähnlich heißen. Selbst diesen ist bewusst, dass Thonet irgendwie synonym geworden ist für Bugholzmöbel wie Tixo für Klebeband. Dabei hatte Thonet neben viel Erfolg auch viele Konkurrenten, vor allem um die Jahrhundertwende.

Bis heute verläuft die Erfolgsgeschichte zwar nicht linear, allein der Weltkriege wegen, aber konsequent. Weil auch: konsequent innovativ. Schon die Verarbeitung des „Bopparder Stuhls“, eines Seitenrahmenstuhls, bei dem zwischen zwei Seiten einfach die Rückenlehne und die Sitzfläche eingeschoben werden, war wegweisend. So weit voraus, dass er heute in der Ausstellung neben Entwürfen von Alvar Aalto stehen darf. „Wir verschränken hier eigentlich zwei Ausstellungen mitei­nander“, sagt Hackenschmidt, „nämlich die Entwicklung und Erfolgsgeschichte nachzuzeichnen, aber auch Thonet in der Designgeschichte zu verorten“. Auch Michael Thonet war einem Ruf gefolgt, jenem von Fürst Metternich nach Wien.

Ausgestattet mit einer Art Start-up-Förderung, einem Privileg von der k.  k. allgemeinen Hofkammer, „auf chemisch-mechanischem Wege jeder Holzgattung alle nur in der Einbildung liegenden Biegungen zu geben . . .“ Das Leben damals brauchte dringend Stühle. Vor allem das öffentliche. Wien brauchte besonders viele. Die Welt braucht noch viel mehr. Für Kaffeehäuser, Theater und wo man sich sonst noch versammeln und zusammensetzen konnte. Der Erfolgslauf zum bedeutendsten Möbelproduzenten der Welt begann. Thonet bog das Holz, wagte den Sprung – von der Manufaktur zur industriellen Produktion, die Ausstellung spannt den Bogen. „Das 19. Jahrhundert war dabei natürlich die spannendste Zeit, das ist Designmythos pur“, sagt Hackenschmidt. Die Produktion wurde effizienter und billiger, die Möbel reduzierter. „Wir zeigen auch, wie sich die Dinge formalästhetisch, typologisch und materialtechnologisch bis heute weiterentwickelt haben.“

Tipp

„Bugholz, vielschichtig“. Thonet und das moderne Möbeldesign: vom 17.  12.  2019 bis 13.  4.  2020 im Wiener MAK, Stubenring 5.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 13.12.2019)

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