Gastkommentar

Panzer- und Luftarmeen braucht das Land nicht

(C) Peter Kufner
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Österreichs Bundesheer befindet sich in einer budgetären Notsituation. Was es dringend braucht, ist ein Bewusstseinswandel im Heer selbst.

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Das österreichische Bundesheer befindet sich seit geraumer Zeit in einer Zwischenwelt. Politische Unterstützung und finanzielle Ausstattung sind, wie das Sprichwort so schön sagt, zum Sterben zu viel, aber zum Leben zu wenig. Dass das Bundesministerium für Landesverteidigung unter Thomas Starlinger nun die Phase des Wahlkampfes und der Koalitionsverhandlungen nutzt, um mit dem Bericht „Unser Heer 2030“ auf diese Situation hinzuweisen, ist richtig und wichtig.

Die budgetäre Ausstattung des Bundesheers unterminiert die Professionalität und Sicherheit der Soldaten und Soldatinnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im nationalen und internationalen Kontext. Darüber hinaus werden die Beiträge der österreichischen Steuerzahler für permanentes Flickwerk verschwendet anstatt dafür verwendet, moderne Streitkräfte zu schaffen, die an gegenwärtigen Herausforderungen orientiert sind.

Die Debatte darf sich jedoch nicht auf die Ausgabenseite verengen, und sie darf nicht nur von jenen bespielt werden, die aus einer Streitkräfte-Perspektive über Strukturen und deren Finanzierung nachdenken. Sie muss sich breiter und intensiver mit den Fragen nach dem Wesen einer modernen und zukunftsfähigen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auseinandersetzen.

In dem 130 Seiten starken Bericht „Unser Heer 2030“ werden mögliche Herausforderungen für Österreichs Sicherheit skizziert und die notwendigen Investitionen in das Bundesheer aufgelistet. Gefordert wird u. a. die Erhöhung des Budgets von derzeit 2,4 auf vorläufig drei Milliarden Euro. Längerfristig erwartet man sich ein Budget von mindestens einem Prozent des BIPs, was einer Verdoppelung des heutigen Budgets entspricht. Darüber hinaus diagnostiziert man einen Investitionsrückstau von 16 Milliarden Euro in allen Bereichen der Streitkräfte und will diesen schrittweise abgebaut sehen. Verlängert sich hingegen die budgetäre (Not-)Situation und werden finanzielle Mittel nicht für alle Bereiche der Streitkräfte verfügbar, so stellt der Bericht in Aussicht, dass das Bundesheer schon in naher Zukunft nicht mehr in der Lage sein könnte, seine verfassungsmäßigen Aufgaben der umfassenden Landesverteidigung und des Schutzes der immerwährenden Neutralität nachzukommen.

Bevor man jedoch über Streitkräftestrukturen und Budgets spricht, müsste über ebendiese Aufgaben nachgedacht werden. Hierbei gelte es zunächst zu klären, welche Leitmotive die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im 21. Jahrhundert anleiten sollen, und dabei vor allem, welcher politischen Ausdeutung oder welchem Modell der Neutralität unser Staat folgen soll.

Auch wenn in der österreichischen Debatte – vor allem von Vertretern des Bundesheeres – auf die Neutralität der Schweiz und deren vergleichsweise große Investitionen in die Streitkräfte verwiesen wird, existiert realpolitisch ein wesentlich breiteres Spektrum an Modellen der Neutralität. Dieses reicht von der bewaffneten Neutralität der Schweiz, die über ein Milizsystem mit hochmodernen Streitkräften verfügt, bis zur unbewaffneten Neutralität Costa Ricas, das vollkommen auf Streitkräfte verzichtet. Der Status als (immerwährend) neutraler Staat bringt demnach keinen Imperativ zur Anschaffung einer umfassenden Streitmacht mit sich. In diesem Sinne lässt sich auch die Formulierung in Art. I des österreichischen Neutralitätsgesetzes verstehen, die Österreich dazu verpflichtet, die Neutralität „mit allen . . . zu Gebote stehenden Mitteln aufrechtzuerhalten und zu verteidigen“. Welche Mittel dies sein sollen, ist eine politische Frage; auch die relevanten völkerrechtlichen Bestimmungen der Haager Abkommen beinhalten die Möglichkeit, aber keine formale Pflicht zur militärischen Gewaltanwendung.

Auch wenn im Moskauer Memorandum von einer österreichischen Neutralität nach Schweizer Vorbild die Rede war, wurde deren Wesen im Staatsvertrag bewusst nicht spezifiziert und von Österreich unterschiedlich gedeutet und gelebt. Während man zunächst noch eine zurückhaltende Rolle einnahm, wurde die Neutralität in den 1970er- (Kreisky) und 1980er-Jahren (Mock) aktiv dazu genutzt, sich international zu engagieren und eine Vermittlerrolle zwischen Ost und West einzunehmen. In den 1990er-Jahren begann mit der Integration in die EU sowie mit der Teilnahme am Nato-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ eine neuerliche Ausdeutung der Neutralität, die von manchen gar als leise Aushöhlung verstanden wird. Es gilt also offen und breit zu diskutieren, was es für Österreich bedeutet, angesichts gegenwärtiger Bedrohungslagen und im Verbund der EU neutral zu sein. Erst dann gilt es zu diskutieren, welche Aufgaben das österreichische Bundesheer in diesem Modell der Neutralität wahrnehmen muss und welche Ressourcen es zur Erfüllung dieser Aufgaben benötigt.

Schwerpunkte neu setzen

Wie der Bericht „Unser Heer 2030“ treffend feststellt, werden zukünftig „bewaffnete Angriffe auf Österreich. . . nicht durch große Panzer- und Luftarmeen wie im Kalten Krieg erfolgen“. Österreich ist, abgesehen von der Schweiz, von EU- und Nato-Staaten umgeben. Es ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb der Bericht Ressourcen für Panzerstreitkräfte, Artillerie und Abfangjäger fordert. Vielmehr sollte das Bundesheer mit einer Schwerpunktsetzung auf die anerkannten Fähigkeiten in den Bereichen der ABC-Abwehr, des Krisen- und Katastrophenschutzes, internationaler Missionen und bei seinen Gebirgsjägern und Jagdkommandos Exzellenzbereiche etablieren, die nicht nur international nachgefragt werden, sondern vor allem für die Sicherheit Österreichs und seiner Bevölkerung relevant sind. Ergänzt um die Fähigkeiten des Schutzes vor Cyberangriffen würden damit moderne Streitkräfte entstehen, die für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerüstet sind.

Auch dafür werden ausreichende finanzielle Ressourcen benötigt, und dies wohl deutlich über dem, was dem Bundesheer derzeit zur Verfügung steht. Was es aber vor allem braucht, ist ein Bewusstseinswandel im Bundesheer selbst. Das Bundesministerium als bürokratische Organisation muss den Willen zum Wandel haben und auch schmerzhafte Kürzungen in einigen Bereichen mittragen (Stichwort: Reduktion des Beamtenapparats), um Innovationen in anderen Bereichen, vor allem in der Truppe selbst, zuzulassen. Es braucht daneben aber auch einen fundamentalen Wandel im Selbstverständnis des Bundesheers. Die Streitkräfte dürfen sich längerfristig nicht mehr als Organisation verstehen, die für Kriege zuständig ist, sondern deren Daseinszweck hauptsächlich in der Unterstützung der österreichischen Bevölkerung in Krisen und Katastrophenfällen liegt.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Die Autoren

Franz Eder (*1980) ist Professor für Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. Er forscht und lehrt zur Außen- und Sicherheitspolitik der USA und Europas sowie zu (Counter-)Terrorismus.

Martin Senn (*1978) ist Professor für Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. Er forscht und lehrt zu internationaler Sicherheitspolitik, internationaler Ordnung und der (Nicht-)Verbreitung von Nuklearwaffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2019)

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