Geheimdokumente

"China Cables" enthüllt: "Selbst wenn ich mein Leben riskiere"

Ein Markt in der westchinesischen Proniz Xinjiang, wo mehrheitlich Uiguren leben.
Ein Markt in der westchinesischen Proniz Xinjiang, wo mehrheitlich Uiguren leben.
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Die Enthüllungen über die Verfolgung von Uiguren in China schlagen hohe Wellen. Nun wandte sich die bisher geheime Quelle der Enthüllungen an die Öffentlichkeit.

"Ich muss Dir diese Dokumente schicken, selbst wenn ich mein Leben damit riskiere", schrieb der Beamte aus Ürümqi, der Hauptstadt der nordwestchinesischen Region Xinjiang, an die Exil-Uigurin Asiye Abdulaheb in den Niederlanden. Angehängt waren 24 Seiten geheimer chinesischer Papiere, die Ende November als "China Cables" international bekannt wurden.

Sie belegen, dass es sich bei den Lagern für die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang eben nicht um "freiwillige Weiterbildungseinrichtungen" handelt, wie Peking beteuert, sondern um Gefängnisse zur Umerziehung.

"Ich hoffe, dass die Tragödie, die hier passiert, so schnell wie möglich enden wird", schrieb der Beamte weiter an die Exil-Uigurin. "Ich hoffe, dass die Weltgemeinschaft stoppen kann, was hier vorgeht." Als sie diese Zeilen erhielt, zitterte die 46-Jährige. Einst hatte sie selbst in Ürümqi für staatliche Medien gearbeitet. Nach den blutigen Zusammenstößen 2019 mit rund 200 Toten war Abdulaheb geflüchtet. Heute ist sie Niederländerin.

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Zur Gehirnwäsche in Umerziehungslagern

"Ich dachte, dass diese Dokumente der Welt zeigen können, was wirklich in meiner Heimat passiert, und dass jedes Detail, das Überlebende schildern, wahr ist", sagte Abdulaheb. Menschenrechtler werfen Chinas kommunistischer Führung vor, Hunderttausende Uiguren zur Gehirnwäsche in solche Umerziehungslager gesteckt zu haben.

In China leben rund zehn Millionen Angehörige des muslimischen Turkvolkes - zumeist im Nordwesten. Viele Uiguren fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen religiös, kulturell, politisch und wirtschaftlich unterdrückt. Ihre Heimat, das frühere Ostturkestan, hatten die Kommunisten nach ihrer Machtübernahme 1949 der neu gegründeten Volksrepublik einverleibt. Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen heute Separatismus und Terrorismus vor.

Die "China Cables" enthüllen die systematische Verfolgung der Uiguren und Anleitungen zu ihrer massenhaften Internierung. Sie zeigen auch auf, wie Uiguren gezielt überwacht werden und eine große Datenbank alle möglichen Informationen sammelt, um Verdächtige auch mit künstlicher Intelligenz zu ermitteln. Im Ausland setzt China demnach seine Botschaften und Konsulate ein, um Uiguren zu bespitzeln.

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Todesdrohungen und Hacker-Angriffe

Abdulaheb wusste, dass es gefährlich sein könnte, die heiklen Papiere öffentlich zu machen. Wie weit der Arm des chinesischen Geheimdienstes reicht, spürte die 46-Jährige, noch bevor sie die Dokumente weitergeben konnte. Ihr Ex-Ehemann, der auch in den Niederlanden lebt, wurde von Agenten kontaktiert, bedroht, über die Papiere befragt und aufgefordert, seine Ex-Frau auszuspionieren.

Bis dahin hatte Abdulaheb erst ein Foto von den offiziellen Dokumenten auf Twitter veröffentlicht, weil sie nicht wusste, an wen sie sich wenden sollte. Sofort wurden ihre Konten auf sozialen Medien und ihre E-Mail gehackt. Ihr Laptop funktionierte nicht mehr. Es gab Todesdrohungen. Eine Botschaft hat sie verwahrt: "Wenn du nicht aufhörst, wird jemand deine Leiche in der schwarzen Mülltonne vor deinem Haus finden." Die Uigurin musste die Polizei einschalten.

Auf das Foto auf Twitter stießen zwei Forscher, die sich schon früh mit der Internierung des Turkvolkes beschäftigt hatten. Sie befanden die Dokumente für echt. Am Ende gab sie Abdulaheb schließlich an das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ), in dem auch NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" mitarbeiten. Der Verbund veröffentlichte die "China Cables" Ende November.

Wachsender Widerstand im System

Die Reaktionen weltweit waren heftig: "Wenn tatsächlich Hunderttausende Uiguren in Lagern festgehalten werden, dann kann die internationale Gemeinschaft davor nicht die Augen verschließen", sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) und forderte Aufklärung von Peking. Kurz darauf verabschiedete der US-Kongress in Washington fast einstimmig ein länger vorbereitetes Gesetz zum Schutz der Rechte der Uiguren, das auch Sanktionen gegen Verantwortliche vorsieht.

"Die "China Cables" untermauern Klagen über die Umerziehungslager, die frühere Inhaftierte, Journalisten und Akademiker vorgebracht haben", sagte der US-Anthropologe und Xinjiang-Experte Darren Byler. Dass sie verraten wurden, könne auf wachsenden Widerstand im System hindeuten. Nach seinem Eindruck ist die chinesische Führung jetzt besorgt, dass jene in der Welt, die vielleicht noch Zweifel hatten, ihre Meinung ändern könnten - und die "wirtschaftlichen und moralischen Kosten" noch über Jahrzehnte zu spüren sein werden.

Abdulaheb erwartet kein Schließen der Lager

Nach dem Proteststurm erwartet die "Whistleblowerin" Abdulaheb aber nicht, dass die kommunistische Führung die Lager schließen wird. Im Gegenteil: "Anstatt ihre Fehler zu korrigieren, versuchen sie weiter, die Uiguren zu dämonisieren", sagte die Exil-Uigurin. "Sie versuchen, ihre Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Uiguren unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus zu rechtfertigen."

Seit die "China Cables" ans Tageslicht gekommen sind, ist Abdulaheb aber erleichtert. Die Mutter einer sechsjährigen Tochter und eines achtjährigen Sohnes hofft, dass die Öffentlichkeit ihr und ihrer Familie persönlich Schutz bieten kann. Deswegen hatte sie als erstes schon in der niederländischen Zeitung "Volkskrant" ihre Identität enthüllt. Ohnehin habe Chinas Regierung längst von ihr gewusst, sagte Abdulaheb. "Ich versuche zu vergessen, was mir passiert ist, und wie bisher normal mein Leben zu leben."

(APA/dpa/ Andreas Landwehr und Simina Mistreanu)

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