Vorbereitungen für die Aufführung von „Demofoonte“.
Tschechien

Im Schlosstheater von Ceský Krumlov

Vom Schnürboden über die Kulissen bis zur Körperchoreografie der Sänger: alles original barock. Opera seria im Schlosstheater von Ceský Krumlov – ein Besuch.

Timante stapft missmutig in die Kulisse. Auf der Bühne hat er noch Haltung bewahrt, Haltung, wie man sich's in barocken Opera-seria-Zeiten für einen Sohn des Königs von Thrakien so und nicht anders vorgestellt hat, alle Gefühlsregungen, und seien sie noch so impulsiv, in einer ritualisierten Choreografie aus Körperstellungen, Bein-, Arm- und Handbewegungen sublimierend, als wär's japanisches Nō-Theater. Aber nun, da sich Timante nicht mehr auf, sondern neben der Bühne befindet, bricht der Ärger aus ihm heraus, und was immer ihm da vorhin auf der Bühne unterlaufen sein mag, ein nicht so ganz sauber vorgetragener Ton, vielleicht auch nur ein Schritt zu weit zur falschen Zeit, es hat gereicht, ihn ziemlich unprinzlich in Rage zu versetzen.

Nun ja, Prinz ist er naturgemäß auch nur auf der Bühne und nicht daneben, und im Übrigen ist er im konkreten Fall eine Sie, die tschechische Mezzosopranistin Monika Jägerová nämlich, und ihr Vater für gut drei Barockopernstunden hat dem Werk, das da soeben generalgeprobt wird, den Namen gegeben: „Demofoonte“, ein „Dramma per Musica“ von Johann Adolf Hasse, uraufgeführt im Venedig des Jahres 1748 und vielleicht – niemand kann Genaues sagen – irgendwann später auf denselben Bühnenbrettern präsentiert, die jetzt Monika Jägerová und dem siebenköpfigen Sängerensemble rund um sie das antike Thrakien vorstellen. Und zwar genau auf denselben Bühnenbrettern und womöglich genau in denselben Kulissen, schließlich befinden wir uns im Schlosstheater von Ceský Krumlov, und hier ist das Meiste erhalten, wie es in Barocktagen war: von der Windmaschine über die Versenkungen, Bühnenboden, Soffitten bis hinauf auf den Schnürboden mit seinem Gewirr an Zügen, die so undurchschaubar rätselhaft scheinen und doch jenen, die damit umzugehen verstehen, Szenenwechsel auf eins, zwei ermöglichen, rein mechanisch.

Im Kostümfundus.
Im Kostümfundus.(c) wf

Theaterdekorateure aus Wien

Man schreibt das Jahr 1765, als Joseph Adam Fürst von Schwarzenberg, weltläufig und kulturaffin, seinem Schloss am Rand des Böhmerwalds einen Theaterumbau spendiert: Schließlich ist das bisher benutzte Gebäude, 1680 bis 1682 errichtet, schon ziemlich in die Jahre gekommen. Mutmaßlich ist es Andrea Altomonte, Schwarzenberg-naher Architekt und eben erst zum Hoftheaterzeichner in Wien avanciert, der die Pläne liefert. Und gleichfalls auf die Residenzstadt an der Donau verweisen innere Holzkonstruktion samt Maschinerie des Theaters, besorgt von dem Wiener Zimmermann Laurentius Makh, sowie Wand- und Deckenmalereien, Vorhang und sämtliche Dekorationen, den Wiener Theatermalern Johann Wetschel und Leo Merkhel zugeschrieben. So weit, so kunsthistorisch.

Die Besonderheit des Schlosstheaters zu Ceský Krumlov – dass fast alles so erhalten ist, als hätte Joseph Adam Fürst von Schwarzenberg die der Herrschaft vorbehaltene Loge auf dem Balkon eben erst verlassen. Und das kommt so: Nach 20 Jahren halbwegs regelmäßiger Bespielung geriet die Bühne, mittlerweile ihrerseits nicht mehr wirklich up to date, allmählich außer Verwendung; irgendwann verlegten die Schwarzenbergs überdies ihre Repräsentationsinteressen weg von Ceský Krumlov, damals noch unter dem deutschen Namen, Krumau, geläufig, 30 Kilometer weiter Moldau-abwärts, nach Schloss Frauenberg, womit dem schlosstheatralen Bestand genau das Beste widerfuhr, was jedem Bestand im Sinn des Erhalts nur widerfahren kann: Es machte kaum jemand Gebrauch davon.

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts scheinen sich die Schwarzenbergs ernsthaft mit dem Gedanken getragen zu haben, das Vorhandene endgültig zu musealisieren: Zumindest einige aus jenen Tagen datierenden Vitrinen für die kostbarsten Barockkostüme weisen auf solche Pläne hin. Die anschließenden Zeitläufe, sei es politisch, sei es wirtschaftlich, setzten jeder einschlägigen Ambition ein Ende – und ließen Theater samt Inventar in Dornröschenschlaf versinken. Einen Dornröschenschlaf, der erst nach der „Wende“ enden sollte.

Hinter der Bühne.
Hinter der Bühne.(c) wf

„So hat es damals hier ausgesehen.“ Kateřina Cichrová zeigt mir Fotografien aus den 1990ern. Fotografien, die kaum glauben lassen, in wie geordneten Bahnen sich heute Theater samt Nebenräumen präsentiert. Ein Beispiel: „Die historischen Kostüme, die lagen drüben im Schloss, in einem Nebenraum, alle auf einem gemeinsamen Stapel“, erzählt Cichrová, ganze Studentengenerationen hätten ihre Arbeitskraft darauf verwendet, Ordnung in dieses Chaos aus Seide, Leinen, Gold- und Silberstickereien zu bringen. Cichrová leitet heute dieses Reich aus Hunderten Kostümen, direkt hinter und über dem Schlosstheater eingerichtet. Aus einem der großen Kästen holt sie einen voluminösen Karton hervor. „Das ist ein Stück, das uns Rätsel aufgegeben hat“, erzählt sie, „ein Hanswurst-Kostüm, allerdings nicht, wie es für diese bäuerliche Figur sonst üblich war, aus grobem Stoff, sondern aus bester Seide.“ Des Rätsels Lösung habe eine Kollegin in der barocken Buchhaltung entdeckt: „Auf der Rechnung für das Kostüm war vermerkt, für wen es angefertigt worden war: nämlich für Joseph Adam Fürst von Schwarzenberg persönlich.“

Zehn Bühnenbilder original

Am Ende unserer Begegnung wird mich Cichrová noch zu den zehn komplett erhaltenen Bühnenbildern begleiten, Seitenkulissen, Soffitten und Bühnenhintergründe, „Festsaal“, „Dom“ oder auch „Militärlager“ vorstellend, die meisten den Entwürfen eines Klassikers des Barocktheaters nachgebildet, Giuseppe Galli Bibienas „Architetture e Prospettive“, alles original, und alles – im Unterschied zum historischen Kostümbestand – heute wieder in Verwendung. Nur von den großformatigen Bühnenhintergründen, den sogenannten Prospekten, habe man aus konservatorischen Gründen Kopien angefertigt.

Die Idee, den historischen Theaterraum samt historischem Inventar, alles heute in Staatsbesitz, gegenwärtiger Bespielung zugänglich zu machen, die geht auf eine Privatinitiative zurück. „Ab dem Jahr 2000 wurden in dem restaurierten Schlosstheater jährlich Barockopern aufgeführt, jedoch nur anlässlich einer musikwissenschaftlichen Konferenz. Die Vorstellungen waren also Fachleuten vorbehalten“, berichtet Ondřej Macek. Das hat den gelernten Cembalisten und Barockmusikkenner aus Prag nicht ruhen lassen. Gemeinsam mit Jiři Kiprý gründete er 2008 das Festival der Barockkünste in Ceský Krumlov, dem er seit damals als künstlerischer Leiter vorsteht. Mit einem Programm, das nebst Konzerten vor allem drei Vorstellungen im Schlosstheater umfasst.

Im Kostümfundus.
Im Kostümfundus.(c) wf



Bei der Auswahl der Opern konzentriere man sich auf Werke, die in moderner Zeit nicht aufgeführt wurden oder auch ganz und gar unpubliziert sind, so Ondřej Macek. Am Beispiel von Hasses „Demofoonte“ illustriert: Dafür habe er drei handschriftliche, in Venedig und Vicenza archivierte Partituren konsultiert, jede für sich ein wenig lückenhaft, aber in der Zusammenschau ein Ganzes ergebend. Und: Er selbst spiele immer aus der Originalhandschrift, die Orchesterstimmen und die Stimmen für die Sänger fertige er jeweils handschriftlich an.

Die Musiker, auf die Macek bei all dem vertraut, gehören, was die Instrumentalseite betrifft, dem von ihm gegründeten und geleiteten Ensemble „Hof-Musici“ an; und bei den Sängern arbeitet er mit einem festen Kreis junger Talente. Die müssten nämlich nicht nur in musikalischer Hinsicht firm sein, sondern „auch die historische Darstellungskunst studieren“, will sagen: „wissbegierig und flexibel genug“ sein, „um diese Arbeit voranzutreiben“.

Kerzen im Orchestergraben

Monika Jägerová hat sich wieder gefasst. Der nächste Auftritt steht bevor bei dieser Generalprobe, ganz und gar konzentriert wartet sie darauf, sich innert weniger Schritte wieder in Timante, Sohn eines mythischen Königs von Thrakien, zu verwandeln. Morgen, bei der Premiere, wird sie mit ihrem Gesang viel Jubel einheimsen, morgen, bei der Premiere, wird wie bei den beiden Folgevorstellungen das eine lang gestreckte Notenpult, dem entlang sich die Musiker im Orchestergraben auffädeln, mit brennenden Kerzen illuminiert sein, morgen werden die 200 Zuschauer im Saal eine Ahnung davon erhaschen, welcher Charme und welcher Zauber von einer Bühne ausgehen kann, die nur ein wenig Grundlicht aus den Seitengassen der Kulisse, keine Scheinwerfer, keine Projektionen, keine Elektronik kennt. Einzig die Kunst – und die Künstler.

Festival Ceský Krumlov

Von 18. bis 20. September 2020 steht Ceský Krumlov zum 13. Mal ganz im Zeichen des Festivals der Barockkünste, in dessen Rahmen für drei Abende auch das Schlosstheater bespielt wird. Gezeigt wird diesmal die Oper „Giulio Cesare in Egitto“, ein von Francesco Rinaldi 1731 für das Wiener Kärntnertortheater zusammengestelltes Pasticcio aus Werken von Georg Friedrich Händel, Nicola Porpora und Antonio Caldara.

Kartenverkauf online:www.vstupenky.ckrumlov.cz/infocentrum-krumlov/General/List/TitleDetail/510 789

Informationen zu Ceský Krumlov:www.ckrumlov.cz/info

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