Jeden Montag präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ in Kooperation mit der „Presse“ aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen. Heute: Thomas Gehrig über das Festhalten an der „Schwarzen Null".
Selten waren die Finanzierungsbedingungen für die öffentlichen Haushalte so günstig wie seit Weihnachten des letzten Jahres bis hin zum kommenden Fest. Aufgrund der erneuten Verfehlung des Inflationszieles für die Eurozone von zwei Prozent im laufenden Jahr hat der scheidende EZB-Präsident Mario Draghi der Eurozone weitere Liquiditätsgeschenke vermacht und diese seiner Nachfolgerin Christine Lagarde gewissermaßen als Vermächtnis für die nächsten acht Jahre mit auf den Weg gegeben. Dennoch – oder gerade deswegen? - halten die Finanzminister wichtiger Länder der Eurozone am Mantra einer „Schwarzen Null“ fest.
Auch wenn man eine inhaltliche Begründung dieses Mantras bei den Proponenten vergeblich sucht, so wird die Austeritätspolitik von diesen doch gerne im Interesse der Nachhaltigkeit oder gar Generationengerechtigkeit verteidigt. Schulden gelten als unsolide und sind gegenüber der jungen Generation vermeintlich schwer zu verantworten. Aber ist diese Argumentation auch richtig, wenn die Schuldenaufnahme historisch günstig wäre?
Jeden Montag gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.
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Nachhaltigkeit ist zweifellos ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik. Das gilt für die Haushaltspolitik der Staaten, aber natürlich auch für die Geldpolitik. A fortiori gilt dies für die gemeinsame Wirtschaftspolitik von Finanzministern und Zentralbank.
Aber ist die Politik der „Schwarzen Null“ wirklich nachhaltig? Wenn Nachhaltigkeit durch Verantwortung gegenüber künftigen Generationen begründet wird, müsste man dann nicht in der Gesamtrechnung eine Vermögensbilanz erstellen, die von Generation zu Generation übergeben wird? Darin stünden dann neben dem Schuldenstand auch der Wert des übernommenen Kapitalstocks etwa in Form von Gebäuden von Ämtern, Behörden, Universitäten, Schulen aber auch Verkehrs- und Versorgungsinfrastrukturen. Ist es nachhaltig, künftigen Generationen die Finanzierung des Erhalts der Kapitalstocks gerade in Zeiten günstiger Finanzierungskonstellationen zu verweigern?
Die gleiche Frage stellt sich auch im Rahmen der Ausbauinvestitionen in Zukunftsfähigkeit etwa beim Ausbau des Alpentransits im Verkehrsbereich oder dem digitalen Netzausbau. Ist es künftigen Generationen gegenüber verantwortbar, aktuell günstige Finanzierungsoptionen aus reiner Regelgläubigkeit zu versagen? Noch dazu, als beim Alpentransit ja ohnehin schon langjährige vertragliche Verpflichtungen, also Regeln, einzuhalten gewesen wären.
Kann expansive Geldpolitik nachhaltig sein?
Ist umgekehrt die Geldpolitik der EZB selbst nachhaltig? Ausgangspunkt der günstigen Finanzierungsoptionen für die Budgetpolitik ist die krisenmotivierte unkonventionelle Geldpolitik. Während in den ersten Krisenjahren 2008 und 2009 Liquiditätshilfen unerlässlich waren, um den Stress im Finanzsektor abzubauen und dramatische Einbußen an Produktion und Arbeitsplätzen in Europa zu vermeiden, konnte in den Folgejahren aus den verschiedensten Gründen keine Normalisierung des Wirtschaftsgeschehens erzielt werden. Die statistisch gemessene Preissteigerung drohte zwischenzeitlich sogar in deflationäre Bereiche zu fallen und ist seither kaum in die Nähe des abgestrebten Inflationsziels von zwei prozent gerückt. Mit massiven Ankaufsprogrammen für Schuldpapiere konnten kurz- und langfristige Zinsen auf ein Niveau von nahe 0 gebracht werden. Mittlerweile zeigt sich aber, dass trotz dieser investitionsfreundlichen Bedingungen weder private Investitionen noch privater Konsum in dem Maße anspringen, welches zur Erreichung des Inflationsziels nötig wäre. Auf Basis dieser Faktenlage hat der scheidende Zentralbankpräsident das Ankaufsprogramm neu aufgelegt. Kann aber eine expansive Geldpolitik nachhaltig sein, wenn weder private noch staatliche Haushalte die ungewöhnlich niedrigen Zinsen nutzen? Verhindert nicht etwa gerade die „Schwarze Null“ der Fiskalpolitik eine zentrale Option der Geldpolitik auf Zukunftsfähigkeit? Ist die in vielen Teilen beklagte mangelhafte Infrastruktur gar ein Grund für die Zurückhaltung der privaten Investitionen?
Wie könnte eine den jungen Generationen verpflichtete zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik aussehen? Es scheint paradox, dass ausgerechnet die beiden Regeln sich gegenseitig ausbremsen, die jeweils Finanz- und Geldpolitik zu nachhaltiger Wirtschaftspolitik verpflichten, nämlich die schwarze Null der Haushaltspolitik und die Unabhängigkeit der Zentralbank. Bewirken diese Regeln in der aktuellen ökonomischen Situation nicht gerade das Gegenteil ihrer ursprünglichen Intentionen? Verdrängt unter strikter Budgetausterität öffentlicher Konsum aktuell nachhaltige Investitionen?
Eines ist allerdings sicher: die eherne Regel ehrbarer Kaufleute, nach der nur solche Projekte zu finanzieren sind, deren Erträge Projekt- und Finanzierungskosten überdecken, macht im privaten wie auch im öffentlichen Sektor zukunftsfähig. Nachhaltige Investitionen sind immer kreditwürdig, auch wenn sie durch Geldgeschenke versüßt werden!
Der Autor
Thomas Gehrig ist seit 2010 Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Wien und Mitglied der Vienna Graduate School of Finance sowie des Center for Economic Policy Research in London. Er forscht über Finanzkrisen und Bankenresilienz und verbrachte kürzlich diesbezügliche Forschungsaufenthalte an der London School of Economics und an der Finnischen Nationalbank.