Der Flughafen von Boston.
Reportage

Was "zu Hause" nach fast einem Jahrzehnt im Ausland bedeutet

Diagnose Doppelkontinentalität: Unheilbar, auch zu Weihnachten. Dabei ist nach Hause kommen um diese Jahreszeit schön. Wäre da nicht die Frage, was „zu Hause“ nach fast einem Jahrzehnt im Ausland eigentlich bedeutet.

Sieben Jahre lang reise ich nun schon zu Weihnachten aus New York oder Boston nach Wien. Mich überrascht dabei: Es gibt, obwohl ich die Übung jedes Jahr wiederhole, kaum Lerneffekte. Jeden Winter werden die gleichen, mitunter nicht ganz einfachen Phasen durchlebt: Von der anfänglichen Verweigerung meiner Anwesenheit bis zur völligen Akzeptanz und nahezu hunderprozentigen Aufgabe der amerikanischen Identität. Ein Versuch der Erklärung in vier Phasen der Trauer – um die verlorene, zurückgewonnene, aufs Neue verlorene Heimat: Wien.

Leugnung. Die ersten paar Tage bin ich vor allem eines – noch nicht da. Trotz missmutiger Reaktionen meiner Mitmenschen spreche ich weiterhin Englisch. Anders als bei jenen, die kurzfristig im Ausland waren und für die Muttersprache sozusagen zu kosmopolitisch geworden sind, hat die sprachliche Verwirrtheit ernstere, unangenehmere Gründe. Bei mir ist der englische Sprachmotor zunächst wirklich noch besser geölt. Obwohl die über die Jahre zunehmenden Schwarzenegger-Verdächtigungen natürlich lächerlich sind, eines stimmt: Gute Adjektive sind auf Deutsch anfangs tatsächlich schwierig. Und: Es verschwimmen die Grenzen zwischen den der Muttersprache zugehörigen Worten, und jenen, die der Einfachheit halber eingedeutscht, oder sagen wir liebevoller, “mitgenommen”, wurden. So habe ich etwa den Begriff “Rollenmodell” schon als deutsches Wort verteidigt, und dann eingesehen, dass “Role Model“ “Vorbild“ heißt. Oder: Weil mir das versöhnende “right?“ am Ende eines Satzes im Deutschen abgeht, sage ich zu oft „. . .oder?“ und werde verdächtigt, heimlich in Bregenz zu leben, wenn ich nicht in Wien bin.

Hinzu kommt ein wachsender sprachlicher Trotz: Manche Formulierungen sind im Englischen knapper, eleganter. Warum also übersetzen? „Jetzt bist du hier“ sagen die Mitmenschen. Zunächst geduldig, dann dezent drohend. “Good point“, sage ich.

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