Pizzicato

Adieu, liebe Tochter!

Dies ist mein letzter Christkindlbrief an Dich im „Pizzicato“.

Seit Du Kleinkind warst, habe ich diese Tradition bewahrt und zu Weihnachten das, was ich sagen wollte, in Druckerschwärze umgewandelt. Aber es ist so: Die Welt dreht sich schnell, rasend schnell. Immer schneller. Nicht in meinem Sinne: Was gestern noch galt, ist heute entwertet. Beim Lesen der Zeitungen vermeint man oft, sich im falschen Film zu befinden. Die Politik ist ein unsympathisches Gewerbe geworden, die tägliche Berichterstattung darüber ein dermaßen unfruchtbares Beginnen, dass es Zeit wird, von diesem außer Kontrolle geratenen Ringelspiel abzuspringen. Du hast Deine Ausbildung bald abgeschlossen, an guten Französisch- und Lateinprofessoren wird wohl auch in Zukunft stets ein Bedarf bestehen (wollen wir es hoffen!). Und an exzellenten humanistischen Gymnasien, deren Niveau über dem Üblichen liegt, wird es auch nicht mangeln.

Das Haus in Wien ist leer, Du lebst geborgen im eigenen Nest, umhüllt von lieben Menschen, denen Du – und die Katzen – offenbar auch lieb geworden bist. Also zieht es Deine Eltern immer stärker aufs Land, was Du uns zu Recht bisweilen vorwirfst. Aber Du verstehst uns. Was soll uns die Stadt?

Meine Arbeit ist getan. Pass auf Dich auf. Adieu. (hws)

Reaktionen an: hans-werner.scheidl@diepresse.com

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