Gastbeitrag

Die USA im faktischen Bürgerkrieg

(c) Peter Kufner
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Die Vereinigten Staaten erleben zur Zeit Veränderungen, die bisher keine wohlhabende und stabile Demokratie durchlebt hat.

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Demokratien sind nur dann lebens- und entwicklungsfähig, wenn sie glaubhaft mit der Akzeptanz der in Wahlen unterlegenen Parteien, Politiker und Wähler rechnen können, und wenn diese sich ungeachtet hart geführter Wahlkampagnen darauf verlassen können, dass sie eines Tages wieder die politischen Geschicke mitgestalten werden.

Seit dem Wahlsieg von Trump gilt dieses Selbstverständnis nicht mehr. Was Amerika heute durchlebt, ist eine Atrophie des politischen Diskurses, in dessen Gefolge politische Gegner zu Feinden mutieren, politische Normen und Sitten verrohen und der politische Gegner seiner Humanität beraubt wird. Für Trump und seine Wähler sind die Demokraten „animals“, denen jegliches humanes Attribut fehlt, und das Einzige, was das Land davon abhält, im Chaos zu versinken, ist seine Präsidentschaft.

Als vorläufiger Höhepunkt in diesem neuen politischen Umfeld muss sein Twitter-Rundumschlag im Vorfeld des „Impeachment“ gewertet werden. Das „Impeachment“, so Trump, sei nichts anderes als ein „Coup“, mit dem der Wählerwille, die Freiheit, die christliche Religion, das von der Verfassung garantierte Recht auf Waffenbesitz, die Grenzmauer zu Mexiko, sowie die Gott-gegebenen Rechte amerikanischer Staatsbürger schlechthin pervertiert werden. Und damit jedermann weiß, wie das ganze Verfahren enden wird, fügte er hinzu, dass das „Impeachment“ das Land in einen Bürgerkrieg stürzen werde, von dem es sich nie erholen wird.

Was hat zu diesen Auswüchsen geführt. Der Globalisierungsstress? Die postindustrielle Wirtschaft? Die wachsende Ungleichheit? Der Einfluss der sozialen Medien? Die demografische „Aussortierung“ der Wahlkreise? Die demagogischen Provokationen des Präsidenten?

Die USA erleben zur Zeit Veränderungen, die bisher noch keine wohlhabende und stabile Demokratie durchlebt hat. Die historisch dominante Gruppe wird zur Minderheit, und die bisherigen Minderheiten fordern für sich bisher verwehrte Rechte und alle damit einhergehenden Privilegien ein.

Das alte, weiße Amerika

Das heutige Amerika blickt reflexartig zurück auf die vergangenen beiden Jahrhunderte, auf eine Zeit also, als die meisten Amerikaner weiß und Christen waren. Dieses Amerika existiert jedoch nicht mehr, und die Trump-Wähler haben den Eindruck, dass die eingespielten demokratischen Spielregeln sie letztlich subsumieren werden. Wie werden diese Amerikaner reagieren, wenn in zwei Jahrzehnten nichts weniger als tektonische, ethnische, rassische und religiöse Veränderungen das Land völlig umkrempeln, wenn der nicht-weiße Teil Amerikas die Mehrheit bilden wird?

Bereits 2002 kamen der Politikwissenschaftler Ruy Teixeira und der Journalist John Judis in ihrem Buch „The Emerging Democratic Majority“ zu dem Schluss, dass Amerika im Zug der demografischen Veränderungen eine neue progressive Ära erleben wird, in deren Folge die Republikaner zur permanenten Minderheitspartei werden. Zehn Jahre später, nach der Wiederwahl von Obama 2012, sagten sie gar, die Mehrheit der Demokraten sei unumkehrbar. Eine Einschätzung, die das Republican National Committee (RNC) in seiner Wahlanalyse teilte und zum Anlass nahm, die Partei aufzufordern, sich den neuen Wählergruppen, insbesondere Hispanics, Asiaten, Afro-Amerikanern, Indigenen, Frauen und der Jugend zu öffnen. Sonst würde der Partei sehr bald der Makel einer permanenten Minderheitspartei anhaften.

Der Fehler der Republikaner

In der Euphorie der Überraschungswahl von Trump 2016 wurden die Analysen und Empfehlungen jedoch in den Archiven des RNC eingebunkert. Mit einer rückwärts gewandten Strategie zielten nunmehr alle Bemühungen darauf ab, die strukturellen Vorteile, die das „Electoral College“ den Republikanern gibt, zu wahren und kritische Wählergruppen systematisch von den Wahlurnen zu verbannen. Diese Machterhaltungsbestrebungen machen deutlich, zu welchen Mitteln eine Wählerschaft greift, die sich mehr einem gemeinsamen (rassischen) Erbe verpflichtet fühlt als demokratisch-pluralen Idealen und Werten.

Dabei ist Amerika in seinen Grundfesten ein konservativ ausgerichtetes Land. Konservative können in einem offenen Werte- und Prinzipienwettbewerb durchaus erfolgreich um die Gunst der Wähler gegen das liberalere Amerika bestehen. Ob die konservativen Republikaner allerdings auf Dauer in einem Wettbewerb um die Wählergunst obsiegen können, der reduziert wird auf pure Identitätszugehörigkeit, muss schon wegen der simplen Arithmetik bezweifelt werden. Ab einem gewissen Punkt sind Wahlen mit diesem Kalkül nicht mehr zu gewinnen. Es sei denn, die bisherigen demokratischen Spielregeln werden außer Kraft gesetzt.

Trumps Sackgasse

Trump hat die Republikaner in eine Sackgasse geführt, die ihn seine Wiederwahl kosten kann, sollte der anstehende „Impeachment Trial“ im Senat ihn nicht schon vorher aus dem Weißen Haus katapultieren. Aber auch seine reguläre Abwahl im November 2020 würde die Trump-Wähler in ihrem Glauben bestärken, dass der demografische Wandel sie auf Dauer von der Übernahme führender politischer Ämter ausschließen wird.

Die Herausforderung für alle demokratischen Kräfte, insbesondere für wertkonservative Republikaner vom Schlag eines John McCain oder Mitt Romney, ist jetzt, die konservativen Wähler darin zu bestärken, dass der drohende Verlust politischer Führungsaufgaben immer temporär ist, und dass selbst ihr vorübergehender Verlust immer noch attraktiver ist als das Abdriften des Landes in einen autoritären Staat.

Es gilt also, die rechts-radikalen, chauvinistischen Elemente der amerikanischen Wählerschaft einzubinden in eine neu zu konstituierende, wert-konservative Partei, und den drohenden, vorübergehenden Verlust der Macht im Land attraktiver zu machen als jedes nicht-demokratische Regierungssystem. Wann immer die Trump-Präsidentschaft zu ihrem verfassungsmäßigen Ende kommt, die Republikanische Partei wird vor derselben Wahl stehen, die ihr die RNC-Wahlanalyse nach der Romney-Niederlage 2012 prophezeite: Entweder sie stellt sich den neuen Realitäten und öffnet sich den Wählern mit Migrationshintergrund, oder sie folgt weiter den konservativen Ideen und Prinzipien des Trumpschen Ethno-Nationalismus.

Daher geht es im November 2020 um mehr als um die nächste Präsidentschaft. Es geht um die Zukunft der US-amerikanischen Demokratie. Wenn es nicht gelingt, republikanische Wähler mehrheitlich davon zu überzeugen, dass demokratische Wahlen ihnen auch einen glaubhaften Pfad weisen zum politischen Erfolg, dass auch ein rassisch durchmischtes Amerika ein Land mit Möglichkeiten für sie sein wird, dann wird die Trump-Präsidentschaft lang über ihr eigentliches Ende fortdauern – und Amerikas Demokratie wird weiter ausbluten.

Der Autor

Erich Vogt hat u. a. an der Stanford University studiert, danach als Journalist (ARD und „Die Welt“) gearbeitet; von 2000 bis 2005 war er Mitarbeiter von James Wolfensohn in der Weltbank. Zurzeit lehrt er Klimawandel, Nachhaltige Entwicklung und Internationale Entwicklungszusammenarbeit an der Umweltfakultät der University of Toronto in Kanada.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2019)

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