Kommentar

Drohendes Brüsseler Fegefeuer der Eitelkeiten

Die neuen politischen Akteure müssen 2020 beweisen, ihre Egos dem Kompromissgeist unterordnen zu können.

Beide haben sich seit der Europawahl im Mai dichte Bärte wachsen lassen, beiden merkt man an, dass sie die Kränkung noch nicht ganz verwunden haben, als Spitzenkandidaten ihrer Parteien das Amt des Kommissionspräsidenten verfehlt zu haben: Frans Timmermans, erster Vizepräsident der Kommission, und Manfred Weber, Klubchef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, sind einander in herzlicher Abneigung verbunden. Jüngstes Beispiel: der Gastkommentar Webers in mehreren europäischen Zeitungen (darunter der „Presse“), in welchem er die Schaffung des Postens eines „EU-Klimabotschafters“ forderte. Wozu dieses Revanchefoul an Timmermans, schüttelt man in Brüsseler Diplomatenkreisen den Kopf. Schließlich ist Timmermans ja genau für diese Zwecke in der Kommission zuständig.

Doch der niederländische Sozialdemokrat und der deutsche Christlichsoziale werden ein Auskommen finden müssen. Denn ohne die Unterstützung von Webers Fraktion, der größten im Europaparlament, sind die hochtrabenden Pläne von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ihren „Green Deal“ zur Emissionsfreiheit Europas bis zum Jahr 2050 ein Rohrkrepierer.

Timmermans – Weber: das ist nicht das einzige Duell von Alphatieren in der Brüsseler Politikarena, auf welches man im neuen Jahr ein Auge werfen muss. Auch innerhalb des Führungstrios der neuen Kommission treffen drei große Egos aufeinander. Von der Leyen selbst hat die stark zentralisierte, auf den Präsidenten zugespitzte Organisation der Kommission, welche ihr Vorgänger, Jean-Claude Juncker, eingeführt hatte, nahtlos übernommen. Sie hat aber mit Timmermans und der bisherigen dänischen Wettbewerbskommissarin, Margrethe Vestager, zwei im Spiel mit der öffentlichen Meinung geübte Vizechefs an ihrer Seite. Werden sie einander das Scheinwerferlicht gönnen, wenn sie aufsehenerregende Maßnahmen im Bereich Klimaschutz oder Digitalpolitik vorstellen? Und wie werden sie mit Charles Michel zusammenarbeiten, dem neuen Präsidenten des Europäischen Rates?

Eine Ebene tiefer, in den politischen Schaltzentralen der Institutionen, liegt ebenfalls Zündstoff für Konflikte. Denn das Verhältnis zwischen den Kabinettschefs von Juncker und Michels Vorgänger, Donald Tusk, war mehr als angespannt, Schreiduelle inklusive. Piotr Serafin und Martin Selmayr sind nun fort, über die Chemie zwischen ihren Nachfolgern François Roux (seitens Michels) und Björn Seibert (seitens von der Leyens) ist bisher nichts bekannt. Doch werden in der Kommission bereits Stimmen laut, wonach der eigentliche Consigliere der Präsidentin nicht ihr Kabinettschef sei, sondern ihr Kommunikationsberater, Jens Flosdorff. Er kümmert sich seit 16 Jahren um das Image der Präsidentin – und hat sich mit seinem forschen Auftreten in Brüssel nicht nur Freunde gemacht.

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