Gedankenlese

Krisenregion Nordostasien: Atomraketen und „Trostfrauen“

Nordkorea ist nicht das einzige Problem im Fernen Osten. Der Streit zwischen Seoul und Tokio verschärft die Lage.

Nordostasien ist neben dem Nahen und Mittleren Osten derzeit die wohl gefährlichste Krisenregion auf der Erde. Dafür sorgt in erster Linie das Kim-Regime in Pjöngjang mit seinen ständigen Raketentests und dem bedrohlichen Herumfuchteln mit Kernwaffen. Aber Nordkorea ist nicht das einzige Problem. Da ist die immer selbstbewusstere Volksrepublik China, die ihre zunehmende militärische Macht verstärkt nach außen projiziert und die Sanktionsschraube anzieht, wenn ihr die Politik eines Nachbarn nicht behagt. Da ist Japan, das praktisch mit allen Staaten in der Region (Russland, Südkorea, China, Taiwan) ungelöste Territorialdispute hat.

Da ist der im Verlauf dieses Jahres mit voller Härte ausgebrochene Streit zwischen Seoul und Tokio um eine aufrichtige Vergangenheitsbewältigung und Entschädigungszahlungen für die den Koreanern während der japanischen Kolonialzeit (1910–1945) zugefügten Wunden. Und da sind die USA, die als Schutzmacht Südkoreas und Japans neuerdings nicht mehr imstande zu sein scheinen, die beiden Streithähne zu beruhigen. Im Sommer verhängte der japanische Premierminister Shinzō Abe Exportkontrollen für Spezialchemikalien, worauf die Südkoreaner kein japanisches Bier mehr tranken und auf Urlaubsreisen nach Japan verzichteten. Seoul wollte ein wichtiges trilaterales Abkommen über den Informationsaustausch der militärischen Geheimdienste zur Einschätzung des nordkoreanischen Bedrohungspotenzials kündigen. Wenigstens das dürfte der gehörige Druck Washingtons im November verhindert haben.

Südkoreas Hauptvorwurf lautet, dass Japan in der Nachkriegszeit nie aufrichtige Reue für seine 1910 bis 1945 begangenen Verbrechen gezeigt habe. Tatsächlich, heißt es in der Berliner Fachzeitschrift „Internationale Politik“ (6/2019), „hat kein japanischer Regierungschef je unmissverständlich Reue über das Leid, die Gräuel und die begangenen Verbrechen ausgedrückt“. Zuletzt sorgte die Frage der Entschädigung von Zwangsarbeitern und von sogenannten „Trostfrauen“ für Ärger.

Japans Militär zwang während seiner Eroberungsfeldzüge in Ost- und Südostasien zwischen 50.000 und 200.000 Frauen zur Zwangsprostitution in Feldbordellen; viele davon waren Koreanerinnen. Erst Anfang Dezember wurden in japanischen Archiven Dokumente entdeckt, denen zufolge jeweils eine „Trostfrau“ 70 japanischen Soldaten zur Verfügung stehen sollte. Die jetzige Regierung in Seoul beklagt, dass südkoreanische „Trostfrauen“ nie angemessen entschädigt worden seien. Tokio argumentiert, dass in einem Vertrag von 1965 alle südkoreanischen Reparationsansprüche abgegolten worden seien.

„Aus der Sicht Shinzō Abes verhält sich Südkorea wie ein uneinsichtiges, trotzig-ungezogenes Kind“, heißt es in der „Internationalen Politik“. Und: „Japans Nationalisten können nicht akzeptieren, dass Nippons einstige Kolonie wirtschaftlich und politisch erstarkt ist und nun als gleichwertig und gleichberechtigt behandelt werden will.“ Jedenfalls stünden in der politischen Architektur Nordostasiens große Veränderungen bevor, prophezeit die Zeitschrift. Die USA, Japan und Südkorea sollten in dieser labilen Situation eigentlich eine stabile Plattform bilden. Stattdessen dominieren nationale Dünkel und tobt ein Streit über Geschichte, Entschädigungen und Stationierungskosten.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2019)

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