Ex-Renault-Nissan-Chef Ghosn flüchtet aus Japan in den Libanon

Archivbild von Carlos Ghosn nach der Haftentlassung in Japan Ende April 2019.
Archivbild von Carlos Ghosn nach der Haftentlassung in Japan Ende April 2019.APA/AFP/BEHROUZ MEHRI
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Dem Ex-Spitzenmanager werden in Japan mehrere Finanzdelikte zur Last gelegt. Carlos Ghosn selbst spricht von einer Flucht vor "Ungerechtigkeit und politischer Verfolgung“.

Der in Japan wegen Finanzdelikten von der Justiz verfolgte frühere Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn hat das Land völlig überraschend verlassen. Der 65-Jährige reiste am Montag in den Libanon ein. Unter welchen Umständen er aus Japan ausreisen konnte, blieb zunächst unklar. Ghosn war dort unter strikten Auflagen im Frühjahr aus der Haft entlassen worden.

Ghosn bestätigte am Dienstag Angaben aus libanesischen Regierungs- und Sicherheitskreisen, dass er sich im Libanon aufhält. Er erklärte in einem schriftlichen Statement, dass er vor "Ungerechtigkeit und politischer Verfolgung" in Japan geflüchtet sei. Er werde nun nicht mehr von dem "manipulierten japanischen Justizsystem als Geisel gehalten".

Ausreise via Türkei - ohne japanisches Einverständnis

Zu den genaueren Umständen seiner spektakulären Ausreise äußerte sich der frühere Spitzenmanager der Autobranche nicht. Offenbar erfolgte sie jedoch nicht im Rahmen einer Übereinkunft mit der japanischen Justiz. Der japanische öffentliche Sender NHK zitierte einen Mitarbeiter des dortigen Außenministeriums mit den Worten, Ghosn hätte das Land nicht verlassen dürfen: "Hätten wir im Vorhinein davon gewusst, hätten wir die zuständigen Strafverfolgungsbehörden informiert."

Laut den Informationen aus den libanesischen Kreisen reiste Ghosn über die Türkei in den Libanon. Er sei von der Türkei aus mit einer Privatmaschine geflogen, hieß es. Ghosns Eltern stammen aus dem Libanon. Er selber kam in Brasilien zur Welt, verbrachte aber den größten Teil seiner Kindheit im Libanon.

In Japan war Ghosn insgesamt mehr als vier Monate in Haft gewesen. Im April wurde er nach einer zweiten Haftperiode erneut gegen Kaution aus dem Gefängnis entlassen, dabei wurde ein Ausreiseverbot gegen ihn verhängt. Für den kommenden April war der Beginn seines Prozesses angesetzt.

Ghosn spricht von Verschwörung bei Nissan

Ghosn erklärte, er sei nicht "vor der Gerechtigkeit" geflüchtet, sondern aus einem Justizsystem, in welchem die Schuld des Beschuldigten vorausgesetzt und "elementare Menschenrechte verweigert" würden. Er war im November 2018 in Japan festgenommen worden. Die dortige Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, Firmenkapital zweckentfremdet und private Verluste auf Nissan übertragen zu haben. Ghosn weist alle Vorwürfe zurück.

Er hat von einer Verschwörung bei Nissan gesprochen, um ihn loszuwerden. Grund soll gewesen sein, dass er Nissan noch näher an den französischen Autobauer Renault heranführen wollte. Die beiden Konzerne bilden gemeinsam mit Mitsubishi Motors eine Allianz.

Ghosns Anwälte werfen den japanischen Ermittlern auch vor, heimlich mit Nissan zusammengearbeitet und ihre Ermittlungen faktisch dem japanischen Autobauer übertragen zu haben. Die Familie des einstigen Spitzenmanagers prangerte außerdem die gegen ihn verhängten rigiden Auflagen als "unmenschlich" an. So war es Ghosn im November erstmals seit acht Monaten erlaubt worden, mit seiner Frau zu sprechen - allerdings nur für eine Stunde und per Videokonferenz.

Kometenhafte Manager-Karriere

Ghosn wurde einst in Japan als Star gefeiert, sogar ein Manga-Comic wurde ihm gewidmet. Er schmiedete die seit 1999 bestehende Allianz zwischen Renault und Nissan und half dem japanischen Hersteller aus einer tiefen Krise. Im Laufe der Jahre machte er beide Unternehmen zu erfolgreichen Spielern auf dem weltweiten Automarkt, auch investierte er früh in die Elektromobilität. 2016 holte Ghosn auch noch den japanischen Konkurrenten Mitsubishi ins Boot und wurde Chef aller drei Firmen.

Von seinen Spitzenposten bei Nissan und Mitsubishi wurde Ghosn dann kurz nach seiner Festnahme im November 2018 entlassen. Er selber trat später von dem Job als Renault-Chef zurück.

Aus dem Außenministerium in Tokio hieß es, die japanische Regierung sei nun auf Hilfe der libanesischen Behörden angewiesen, da kein Auslieferungsabkommen mit dem Mittelmeerstaat bestehe, wie der Sender NHK berichtete. Ghosn hat neben der französischen und der brasilianischen auch die libanesische Staatsangehörigkeit.

(APA/AFP/dpa)

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