Nachruf

Harry Kupfer: Sein Regiebuch war die Musik

Harry Kuper auf einem Archivbild aus dem Jahr 2015.
Harry Kuper auf einem Archivbild aus dem Jahr 2015.APA/HERBERT PFARRHOFER
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Der Berliner Musiktheater-Meister war mit seinen Inszenierungen auch in Wien und Salzburg erfolgreich. Musikalität prägte seine Arbeit - brillant bis ins kleinste Detail. Er verstarb im Alter von 84 Jahren.

Es durfte auch etwas schiefgehen bei ihm: Immer nahm Harry Kupfer das volle Risiko auf sich, wenn er eine Neuinszenierung anging. Halb- oder dreiviertelgar kochte er nie. Mochte ihm die Kritik auch hinterher versichern, er sei diesmal in die falsche Richtung marschiert: Den eingeschlagenen Weg hatte er immer bis zum Ende beschritten. Und in der Rückschau bleiben doch mehrheitlich Erinnerungen an spannende, aufschlussreiche, oft tatsächlich große Opern-Produktionen, immer brillant bis ins kleinste Detail durchgestaltet. Der legendäre Regisseur Harry Kupfer ist tot.

Der Berliner verstarb am Montag (30. Dezember) nach längerer Krankheit im Alter von 84 Jahren in seiner Heimatstadt, wie sein Management Arsis mitteilt. Kupfer hat nicht zuletzt auch in Österreich bedeutende Regiearbeiten im Musiktheaterbereich vorgelegt - vor allem im Opernbereich. Einem breiteren Publikum ist er vielleicht auch als Regisseur der Originalproduktion des Musicals "Elisabeth“ 1992 in Wien bekannt.

Ein musikalischer Regisseur

Hierzulande gab es zuletzt eine „Rosenkavalier“-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen, die als erste einen wirklichen konsequenten Gegenentwurf zur bis dahin allein gültig scheinenden, von Max Reinhardt hinter den Kulissen entscheidend mitbestimmten, Ur-Produktion in den Rollerschen Dekorationen. Was zwischendurch auf den internationalen Bühnen geboten wurde, war entweder ein Imitat dieser ursprünglichen Gestalt der letzten deutschen Erfolgsoper – oder ein untauglicher Versuch, die Hofmannsthalschen Karten neu zu mischen. Harry Kupfer gelang die gültige Neu-Deutung, weil er seit seinen Anfängen auf den wichtigsten DDR-Bühnen stets nicht nur den Text, sondern vor allem die Musik in Augenschein nahm. Wenn er inszenierte, konnte es vorkommen, dass er Sänger und Korrepetitoren verblüfften, weil er etwa sagte: Wir fangen dort an, wo es nach e-Moll geht.

Welcher der heute zwischen Salzburg, München und New York herumgereichte Moderegisseur weiß schon, wann die Musik nach e-Moll moduliert? Und wer von ihnen kann überhaupt Noten lesen? Dank seiner eminenten Musikalität war Harry Kupfer zu dem Opern-Regisseur schlechthin geworden. Wie immer er die Figuren seines Spiels geduldig-behutsam verschleierte, aber im Endeffekt doch mit Brachialgewalt führte, sein Regiebuch war die Partitur, nicht das Libretto. Penibel ausgeführte Gänge, Läufe, Kletterpartien in seinen Inszenierungen dauerten präzise so lange, wie die Melodiekurven oder Sechzehntelläufe der Geigen.

Das war's, was seine Arbeiten vor denen aller anderen auszeichnete. Im Verein mit seinen Bühnenbildnern, vor allem mit Hans Schavernoch, gelang es ihm oft, diese penible Umsetzung musikalisch-textlicher Dramaturgie auch in die Optik des Bühnenraums zu projizieren – nicht selten hoben Kostüme, Dekors und Lichtgestaltung sein theatralisches Bewegungskonzept in die dritte Dimension; im Idealfall erwuchsen daraus Modell-Aufführungen wie jener erwähnte „Rosenkavalier“, der dann auch gleich ein zweites Mal gezeigt werden musste, obwohl das im Festspiel-Konzept gar nicht vorgesehen war.

Genialer Opern-Animator

Dass aus diesem idealen „Rosenkavalier“ fürs 21. Jahrhundert kein musiktheatralischer „Jedermann“ wurde, lag auch daran, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, eine Kupfer-Produktion am pulsierenden Leben zu erhalten, wenn der Meister selbst nicht bei jeder Wiederaufnahme das Zepter führt und den Sängern im wahrsten Sinne des Wortes Beine macht. Kupfer im Repertoire war in der Regel nicht mehr Kupfer – die einst brillante Volksopern-„Bohème“ in ihrer Anfangs-Gestalt ein wirklicher Kontrapunkt zur unverzichtbaren, klassischen Zeffirelli-Inszenierung an der Staatsoper, konnte davon Zeugnis geben.

So muss sich die Welt jetzt verabschieden von der Möglichkeit, einem genialen Opern- (und übrigens auch Musical-)Animator bei der Arbeit zuschauen zu dürfen. Harry Kupfer, das ging nur „live“ – und es ging gegen alle Erwartung auch im Kampf gegen eine schwere Erkrankung, der dieser Künstler noch mehrere Jahre seines gewohnt intensiven Pensums abzutrotzen wusste. Man muss zusammensuchen, was von seiner reichen Ausbeute dokumentiert wurde und zumindest als Video-Mitschnitt erhalten blieb; es ist nicht allzu viel – vom Bayreuther „Ring des Nibelungen“, der auf DVD greifbar ist, bis zur unvergesslichen Händel-Wiederbelebung „Giustino“ mit Jochen Kowalski, die zumindest im Internet zu finden ist – übrigens als bester Beweis dafür, dass es nicht unbedingt die Originalklang-Apostel waren, die in vorderster Linie die Barockoper wieder zurückerobert und dem modernen Repertoire erschlossen haben.

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