Debütant Andris Nelsons schießt in Lautstärke und Kontrastwirkungen oft übers Ziel hinaus, punktet aber überraschend bei den kleinen Stücken. 2021 kehrt Riccardo Muti ans Pult zurück.
Sympathisch wirkt er ja. Andris Nelsons ist noch gar nicht richtig durch die Tür aufs Podium getreten, da gibt er beim Radetzkymarsch dem Schlagzeug schon das Zeichen. Was die fundamentale Organisation anlangt, hat sich der Dirigent dadurch überflüssig gemacht: Das Tempo steht fest, und das Orchester weiß im Schlaf, wann es einzusetzen hat. Und so verzichtet Nelsons in der Folge fast völlig darauf, die Wiener Philharmoniker im eigentlichen Sinn zu leiten, kehrt ihnen meist den Rücken zu und konzentriert sich mit seinen meist weit ausladenden, groß rudernden Gesten und blitzenden Augen lieber aufs Publikum.
Liebenswürdiger Animator
Tatsächlich schafft Nelson es – wie schon Gustavo Dudamel 2017 –, das obligatorisch herzhafte Mitklatschen an einer Stelle sogar mit Crescendo und Decrescendo zu nuancieren. Wer das miterlebt hat, der ahnt, was namhafte Klangkörper wie das Boston Symphony Orchestra oder das Leipziger Gewandhausorchester, wo Nelsons seine aktuellen Chefposten hält, an dem lettischen Dirigenten und langjährigen Protegé des unlängst verstorbenen Mariss Jansons so schätzen: den liebenswürdigen Animator, den Kollegen am Pult, der es immer gut meint mit seinen Musikern – und mit der Musik sowieso. Wenn in der Silvesteraufführung des Programms in Hans Christian Lumbyes „Postillon-Galopp“ die musikalische Einlage des studierten Trompeters Nelsons, der als junger Mann auch im Orchester der Lettischen Oper gespielt hat, zuletzt gicksend misslingt und er darüber Schulter zuckend spaßen kann, dann macht ihn das noch sympathischer – zumal am Neujahrstag dann seine Fanfarenstöße gelingen.