Am Chopok, dem dritthöchsten Berg der Niederen Tatra (2043 m).
Slowakei

Liptau: Winter im Norden der mittleren Slowakei

Österreichische Wintersportler müssen die Berge der Niederen Tatra noch entdecken. Manche Piste ist sogar weltcuptauglich, Die Preise liegen weit unter denen in den Alpen.

Oben auf dem Chopok weht eisiger Wind, es herrscht grausame Kälte. Wer sein Gesicht bei diesen für die Gegend durchaus nicht außergewöhnlichen Temperaturen von jenseits 20 Grad unter dem Nullpunkt nicht anständig verhüllt, erstarrt zu einem Eiszapfen. Dagegen ist es in einem Gefrierfach fast kuschelig. Aber weil die Sonne vom stahlblauen Himmel lacht und die prächtig präparierten Pisten beleuchtet, wird es einem doch warm, zumindest ums Herz.

Der Chopok ist mit 2024 Metern die zweithöchste Erhebung der Niederen Tatra (Nízke Tatry), einem Gebirgsmassiv der slowakischen Karpaten, das sich in der Mittelslowakei über gut 80 Kilometer zwischen den Tälern der Váh (Waag) und des Hron (Gan) von Osten nach Westen erstreckt.

Liptovský Mikuláš (St. Nikolaus in der Liptau), eine heute gut 30.000 Einwohner zählende Stadt im Waagtal, ist ein idealer Ausgangspunkt für die sportliche und kulturelle Erkundung dieser Berglandschaft. Das traditionelle Zentrum der Liptau (Liptov), einer Region, die während der Habsburgerzeit als „Liptauer Gespanschaft“ verwaltungstechnisch der ungarischen Krone unterstand, hat einige Sehenswürdigkeiten zu bieten: etwa die größte erhaltene Synagoge des Landes, eine spätgotisch geprägte Kirche, das Komitatshaus oder das Stadtmuseum, in dem vor allem die Folterkammer das Interesse weckt. Der Grund: Juraj Jánošík, 1688 als Sohn eines armen Leibeigenen zur Welt gekommen, war ein legendärer Räuberhauptmann in den slowakischen Wäldern und wurde 1713 im Zentrum Liptaus durch Aufhängen an einem Haken hingerichtet.

Weltcup kehrt zurück

Durch die zu allen Jahreszeiten wegen ihrer Eis- und Tropfsteinhöhlen gern besuchte Demänovská Dolina (Demänovska-Tal), in der diese slowakische Ausgabe eines Robin Hood seine Streifzüge unternommen haben mag, gelangt man in einer guten halben Autostunde von Liptovský Mikuláš nach Jasná. Das größte Skigebiet der Slowakei wurde in den vergangenen Jahrzehnten an den Nord- und Südhängen des Chopok erschlossen. Und 2016 wurde es nach mehr als 30 Jahren Wartezeit – sicher zur Freude der in blendender Form agierenden Lokalmatadorin Petra Vlhová– wieder zum Austragungsort von Skirennen des Damenweltcups.

Wiedereinsteiger und Familien

Wintersportlern werden hier neben abwechslungsreichen Langlaufloipen und Routen für Schneeschuhwanderer und Skitourengeher knapp 45 Pistenkilometer geboten, 30 Sessel- und Schlepplifte und Seilbahnen bringen die Skifahrer auf den Berg. Das Terrain ist nicht allzu schwierig zu bewältigen, jedoch finden auch Fortgeschrittene Gefallen an manchen durchaus steilen und anspruchsvollen Hängen.

Die Skipasspreise in Jasná sind verglichen mit jenen in den Alpen etwas niedriger, in den weniger bekannten, kleineren Skigebieten der Slowakei kann man auch noch wesentlich günstiger dem Pistenvergnügen frönen. (So kostet etwa im nahe gelegenen Ski Park Kubínskah hoľa die Tageskarte in der Hauptsaison 30 Euro für einen Erwachsenen, im Park Snow Donovaly zahlt man ebenfalls 30 Euro, 57 Euro für eine 8-Stunden-Karte, die man an mehreren Tagen verbrauchen kann.) Die Preise für Kinder, die erst mit sechs Jahren zahlen, Jugendliche und Senioren sind in allen Skigebieten der Slowakei äußerst moderat. Damit macht sich die Reise in die Slowakei auch für Skianfänger und Wiedereinsteiger, ältere Menschen und Familien mit kleineren Kindern, die man hier an den Skisport heranführen kann, bezahlt.

Skihütte im Skigebiet Lukova bei Jasna in der Niederen Tatra
Skihütte im Skigebiet Lukova bei Jasna in der Niederen Tatra Imago

Allroundzutat Brimsen

Günstige Unterkünfte sind in allen Gebieten zu finden, vor allem aber die Preise in den gemütlichen Restaurants lassen einen, noch bevor man sich beim Versuch, Bezeichnungen für Speisen wie jene des Nationalgerichts Bryndzové Halušky korrekt auszusprechen, die Zunge bricht, mit selbiger schnalzen. Nach bergsportlichen Aktivitäten kommt man hier mithilfe der köstlichen slowakischen Küche – und dem dazugehörigen Gerstensaft – wieder zu Kräften. Wer sich übrigens nicht mit den slowakischen Namen von Speisen radebrechend abmühen möchte, dem werden nach einer klassischen „Fingerbestellung“ die Spätzle mit gesalzenem Frischkäse aus Schafsmilch (Brimsennocken) selbst im hintersten Wirtshaus des Landes serviert. Aus ebendiesem Brimsen wird auch jener Brotaufstrich zubereitet, der als pikanter, typischerweise orangeroter Liptauer zum kulinarischen Werbeträger der Region in Österreichs Heurigenlokalen oder Buschenschanken geworden ist.

Gäste aus dem Osten

Für einen Besuch in den slowakischen Skigebieten spricht zudem auch die relativ hohe Schneesicherheit: In der Niederen Tatra gib es erfreulicherweise zumeist Naturschnee, in Jasná können die Abfahrten vom Gipfel bis ins Tal freilich auch künstlich beschneit werden, wodurch die Saison von Anfang Dezember bis Ende April dauert. Viele Gäste aus Russland, der Ukraine, dem Baltikum, Tschechien, Ungarn und Polen und natürlich Einheimische, jedoch noch kaum Deutsche oder Österreicher, genießen die winterlichen Freuden der Mittelslowakei.

Blick auf die Hohe Tatra
Blick auf die Hohe TatraImago

Potenzial bei den Hütten

Nach dem Motto „Unter den Blinden ist der Einäugige König“, könnte man bisweilen in den etwas arroganten Habitus verfallen, sich als Model oder Skilehrer hervortun zu wollen, aber der Pistenpfau rupft sich beim ersten Kapitalsturz schnell wieder selbst die rot-weiß-roten Chauvinistenfedern.

Derartige Gespinste und wunderschöne Ausblicke zum großen Bruder, der Hohen Tatra (Vysoké Tatry), lassen den Wind und die Kälte vergessen, der man sich auch in einer der eher raren Skihütten entzieht. Dauerhaft erwärmt die dort verbreitete Atmosphäre trotz Pivo und Pálenka allerdings nicht, denn zur sprichwörtlichen Gemütlichkeit einer Berghütte in den Alpen fehlt doch noch ein Quäntchen. Die Après-Ski-Bars hingegen unterscheiden sich kaum von den alpinen Radautempeln, auch hier reicht es, ein paar kräftige Atemzüge zu tun, um einen leichten Spitz aus der alkoholschwangeren Luft herauszudestillieren.

Was für ein Geschenk ist bei dieser Witterung also eine heiße Quelle, die aus der Tiefe sprudelt. Zahlreiche Heilbäder, wie beispielsweise Bešeňová oder der Aquapark Tatralandia in Liptovský Mikuláš, bieten den Besuchern große Thermallandschaften und Erlebnisbäder mit Wasserrutschen und Whirlpools, die vor allem junges Publikum und Familien anlocken.

Alte Kurtradition

Weitaus idyllischer freilich wirkt das Kurbad Kúpele Lúčky in einem Gebirgstal am Fuß des Veľký Choč, das auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Schöne Berggipfel bilden die Kulisse dieses Heilbads, das sich gleich neben einer kleinen Kapelle befindet. Bereits im Jahre 1777 vermerkte der österreichische Mediziner und Botaniker Heinrich Johann Nepomuk Edler von Crantz (1722–1799), der als Begründer der modernen Balneologie gilt, in seinem Werk „Gesundbrunnen der Oesterreichischen Monarchie“ über den Kurort Lutski kritisch: „Nun aber schon seit zehn Jahren, nachdem es von dem Herrn Adam Turjanszki zu einem rechten Bade gemacht und erbauet worden ist, wird es von vielen Kranken mit Trost und Nutzen besuchet. Doch wäre zu wünschen, daß dieses Warmbad, das eine vortreffliche Wirkung hat, in eine bessere Ordnung gebracht würde. Denn für die dahin reisenden vielen Patienten sind die Einkehrungen und Wohnungen nicht hinlänglich, noch weniger können sie ihre nothwendige Gemächlichkeit haben.“

Von Crantz wäre mittlerweile zufrieden, denn Kúpele Lúčky hat touristisch betrachtet eine ziemlich gute Entwicklung genommen; das mit 32 Grad aus der Tiefe strömende Quellwasser, so wird behauptet, soll das Immunsystem stärken, vor Erkältungen schützen und mentale Anspannung sowie Stress lindern.

Neben Wintersport und Thermenvergnügen lohnen auch die Dörfer und Kleinstädte der Region einen Besuch. Ein typischer Ort, in dem man viel Ruhe findet, ist etwa Liptovská Lúžna. Am Fuß des 1630 Meter hohen Salatín gelegen, trägt er einen Bären im Wappen, jenen braunen Honigfreund, den man in diesem Gebiet, in dem Landwirtschaft, Bergbau und Schafzucht betrieben wurden, einst verzweifelt gejagt hat. Ein Supermarkt, zwei Kioske, eine Volksschule und eine Post sowie drei Pensionen, ein Gasthaus, ein Waldfriedhof und eine Kirche sind die einzigen hervorstechenden Gebäude und sozialen Orte dieses scheinbar unendlich lang gestreckten Dorfes. Viele der mehr als 150 Jahre wunderschönen alten Blockhäuser stehen indes leider leer. Valentín Tišťan, der eine Pension betreibt, hadert ein wenig damit, dass nur die Alten hierbleiben. Die jungen Leute hätten keine Perspektive, weil es im Ort keine Arbeit gebe. Der junge Wirt im einzigen Beisl ist ein erfreuliches Gegenbeispiel: Nach acht Jahren „auf Arbeit in München“, sei er wieder gern zurückgekehrt. „Ja freili, die Leit brauchen ja wås zum Trinken“, scherzt der junge Mann in breiter bairischer Mundart.

Typische alte Bergsiedlungen

Am Ende der Welt liegt Liptovská Lúžna allerdings auch wieder nicht, benötigt man doch kaum eine halbe Autostunde, um in die Kreisstadt Ružomberok (Rosenberg) zu gelangen. Der Industrieort ist auf den ersten Blick keine Schönheit, einen Besuch lohnt vor allem die hübsche Oberstadt mit dem 1897 im Neorenaissancestil erbauten Rathaus. Zum Ortsgebiet von Ružomberok, am Rand der Großen Fatra (Veľká Fatra) gelegen, gehört übrigens Malinô Brdo, das mit einer Seilbahn, einem Sessellift und mehreren Schleppliften viertgrößte Skigebiet des Landes, sowie der Weiler Vlkolínec (Wolfsdorf), den man seit 1993 zum Weltkulturerbe der Unesco zählt. Es handelt sich um ein Ensemble von jahrhundertealten farbigen Blockdoppelhäusern mit je einer zweiräumigen Scheune, einem Stall und einer Mauergetreidekammer, die in Terrassenfelder münden und im typischen Stil slowakischer Bergsiedlungen errichtet sind.

Zu den besonderen Sehenswürdigkeiten des Dorfs gehören die Dominante der Siedlung, ein hölzerner Glockenturm aus dem Jahre 1770, ein Holzhaspelbrunnen aus dem Jahr 1860, der einst als einzige Trinkwasserquelle diente, eine Bauernausstellung sowie die im Jahre 1875 erbaute Kirche der Heimsuchung der Jungfrau Maria. Sechs der 55 Häuser sollen immer noch ganzjährig bewohnt sein, andere dienen als Urlaubsquartiere für die Städter. Drei eitle Katzen haben es sich neben dem Friedhof unter einem Stadl, wo es windstill ist, in der Sonne gemütlich gemacht, die Menschen bevorzugen indes die Erwärmung von innen: Im kleinen Café führen sich ein paar ukrainische Gäste Spirituosen zu, während man selbst Tee bevorzugt. Denn auch hier hat man angesichts der Temperaturen nicht den Eindruck, man befinde sich in der Nähe Mitteleuropas, sondern im tiefsten Sibirien.

REGION LIPTAU UND DIE NIEDERE TATRA

Anreise: Mit dem Auto: eine ca. vierstündige Fahrt von Wien über Bratislava, Trnava, Trenčín, Žilina, Ružomberok – Ausfahrt Liptovský Mikuláš, dann zwölf Kilometer eine gut ausgebaute Bergstraße, E50, Route 584, Richtung Jasná

Mit dem Zug: ca. fünfeinhalbstündige Fahrt nach Liptovský Mikuláš mit Umsteigen in Bratislava hl. st.

Unterkunftstipps: Die Gegend ist touristisch gut erschlossen: Hotel Grand Jasná, vier Sterne, https://www.grandjasna.sk/de

Chalets Jasná Collection, vier Sterne, Appartement für zwei Personen, mit Frühstück, www.chaletsjasna.sk/de

Privat Severka, im Demänovska-Tal, www.privatseverka.sk

Penzion Atlas in Liptovský Mikuláš, www.penzionatlas.eu

Hotel Galerie Thermal, vier Sterne, Bešeňová in Bešeňová, www.galeriathermal.sk/en

Skifahren: Skiverleih gibt es in den Hotels sowie Verleihstationen, Skischulen bieten Kurse für alle Leistungsstufen an.

In der Tatra und Lipauer Region (Jasná und weitere): Tageskarte für Erwachsene bei Online-Vorabkauf auf www.gopass.sk ab 9 € in der Nebensaison bis maximal 41 € in der Hauptsaison, vor Ort teurer; Kinder unter sechs Jahren frei, Jugendliche und Senioren deutlich reduziert; 44,5 km Piste, 943–2004 m Höhe, 43 Prozent leicht, 40 Prozent mittel und 17 Prozent schwierig.

In Donovaly: Tageskarte Erwachsene 30 € (Hauptsaison), Kinder unter acht Jahren frei, Jugendliche und Senioren reduziert; 11,3 Pistenkilometer, 910–1361 m Höhe.

Tageskarte Erwachsene in Kubínskah hoľa 30 € (Hauptsaison), Kinder unter sechs Jahren frei, Jugendliche und Senioren reduziert; 14 Pistenkilometer, 720–1396 m Höhe

In Malinô Brdo: Tageskarte Erwachsene 27 € (Hauptsaison), Kinder unter sechs Jahren frei, Jugendliche und Senioren reduziert; 10,6 Pistenkilometer, 545–1209 m Höhe

Skigebietsinfos: Slowakei: www.slovakia.travel/de

Liptau: www.visitliptov.sk/en

Jasná: www.jasna.sk/de

Malinô Brdo: www.skipark.sk/en Kubínskah hoľa: www.kubinska.sk/en Donovaly: www.parksnow.sk/zima/de

Tipp: „Fresh track“ in Jasná für Frühaufsteher: Frühstück im Bergrestaurant Rotunda (2004 m) und dann auf frisch präparierten Pisten als Erster abfahren; kostenloser Völkl-Skitest inklusive; Tickets an der Kassa oder auf www.gopass.sk/de

Weitere Aktivitäten in Jasná:

Nachtskifahren, große Freeride Area, Schneeschuhwandern, Hundeschlittenfahren in der Žiarska dolina (Žiarska-Tal), Skitouren, Eislaufen, Verleih von Funsportgeräten wie Snowbike und Snowscoot

Thermal- und Erlebnisbäder:

Aquapark Tatralandia in Liptovský Mikuláš: www.tatralandia.sk/de. Thermalbad in Bešeňová: www.besenova.com/en. Kurbad in Kúpele Lúčky: www.kupele-lucky.sk/de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2020)

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