Gastkommentar

Der Geist der Weltverbesserung

Die Konzepte für eine an Nachhaltigkeit orientierte Politik liegen vor, neue Wege werden bereits beschritten.

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Die Lage der Welt einerseits und die Bildung einer türkis-grünen Koalitionsregierung für Österreich andererseits geben einem geflügelten Wort neuen Aufwind: „Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält“, reimte Friedrich Hebbel 1862. Nun wird sich zwar diese große Welt nicht an Österreich ausrichten, aber eine türkis-grüne Koalitionsregierung hat erhebliches Potenzial, das es zu erkennen gilt.

Das Wesen der ökosozialen Marktwirtschaft und der ökologischen Bewegungen besteht darin, nicht die Interessen einiger Betroffener, sondern die Themen aller in die Politik zu tragen. So legitim Interessenvertretung auch ist, so sehr versinkt eine bloß daraus resultierende Politik in Klientilismus, in Proporz und Tauschgeschäften. Der daraus folgende Stillstand lässt den Unterschied zu den Anforderungen der Gegenwart ständig größer werden. Mit der neuen Regierung aus Volkspartei und Grünen könnte sich die Hoffnung auf eine Politik der Perspektiven verbinden. Die Programme liegen vor.

Nachhaltigkeit gehört ergänzend zu Demokratie und Menschenrechten in das Koordinatensystem der Politik aufgenommen. Was damit gemeint ist, ergibt sich etwa aus den globalen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen, den Sustainable Development Goals. Diese reichen von Armutsbekämpfung bis zur Rechtsstaatlichkeit, einem unterschätzten frühen Exportschlager Österreichs.

EU als globaler Vorreiter

Österreichische Unternehmen nehmen soziale und ökologische Verantwortung wahr, erfüllen die Kriterien der Global Reporting Initiative oder der Corporate Social Responsibility. Sie erwarten sich von Regierung und Gesetzgebung zu Recht mehr Anerkennung und Förderung für ressourceneffiziente Produktion und klare Richtlinien für am Pariser Klimaabkommen orientierte Investitionen. Österreich könnte sich nach 25 Jahren Mitgliedschaft in der EU an die Spitze jener Länder stellen, welche die EU zum weltweiten Vorreiter in nachhaltiger Entwicklung werden lassen, wie es der Europäische Rat in seinem Papier „Towards an ever more sustainable Union by 2030“vorschlägt.

Das Richtige tun

Was im Einzelnen mit der „Nachhaltigkeitsagenda“ zur Verbesserung der Lage der Menschen gemeint ist, hat die Europäische Kommission vor einem Jahr in ihrem Reflexionspapier „Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa bis 2030“ erläutert.

Und die neue Bundesregierung in Wien könnte sich für den European Green Deal engagieren, den die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, vor einem Monat vorgelegt hat. Dieser zielt auf ein sozial gerechtes und klimaneutrales Europa ab.

All diese genannten Konzepte und die ihnen zugrunde liegenden Überlegungen sind in der Gesellschaft stärker und breiter verankert, als es das gängige politische Gespräch vermuten lässt. Dieses ist, den Gesetzmäßigkeiten der politischen und der massenmedialen Kommunikation folgend, stark von Konflikt, Konkurrenz und Krise beherrscht.

Doch breite Schichten der Gesellschaft, sowohl unter Unternehmern als auch in sozialen, gemeinnützigen und humanitären Organisationen, atmen den Geist der Weltverbesserung. Sie wollen das Richtige tun, sich aber nicht mit dem Nebensächlichen befassen, geschweige denn, vom Wesentlichen abgelenkt werden.

Es wird die Aufgabe gerade einer türkis-grünen Bundesregierung sein, diesen Geist und diese Gedanken aufzugreifen. Darin liegt eine Schwungmasse, die Österreich in der Tat nach vorn bringen könnte.

Claus Reitan (*1954 in Innsbruck) ist
freier Journalist und Autor mit
Schwerpunkt Nachhaltigkeit.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2020)

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