Europas Regierungen tun derzeit alles, um den Bürgern schlechte Nachrichten zu ersparen. Vielen Dank auch.
Ganz einfach ist die Lage für europäische Regierungschefs dieser Tage ja nicht. Was immer sie auch unternehmen, um die tobende Wirtschaftskrise einigermaßen in den Griff zu kriegen, wird von einer gehässigen Medienmeute umgehend in Grund und Boden kommentiert. Leihen sich die Staaten mehr Geld, um die finanziellen Folgen der Wirtschaftskrise abzufedern, wird vor einer verheerenden Staatsschuldenkrise gewarnt. Wagen es Regierungen gar, ihre üppigen Ausgaben ein wenig zurückzunehmen, fliegen die nächsten Ohrfeigen: Mit sinkenden Staatssausgaben käme die Krise erst richtig in Fahrt, wodurch ganze Generationen um eine glänzende Zukunft gebracht würden.
Das ist nicht fair. Schließlich tun die Vertreter der europäischen Regierungen alles, um das Leben ihrer Wähler so angenehm wie möglich zu gestalten. Zentraler Teil dieser Strategie ist es, den tatsächlichen Stand der Dinge zu verschleiern.
So kauft beispielsweise die Europäische Zentralbank (EZB) seit Wochen im großen Stil griechische Staatsanleihen auf. Zugekauft wird nicht, obwohl sich herumgesprochen hat, dass Griechenland pleite ist, sondern weil es tatsächlich so ist. Schließlich gehe es mittlerweile darum, das sonnige Euro-Land vor dem finanziellen Kollaps zu retten – auch, wenn derartige Hilfsaktionen allen europäischen Verträgen widersprechen. In welcher Höhe griechische Ramsch-Papiere erworben wurden, wird allerdings unter Verschluss gehalten. Erklärt wird die Geheimniskrämerei mit dem drolligen Argument, die Märkte nicht aufregen zu wollen (fehlt nur noch das Wort „unnötig“). So, als wüsste man dort nicht längst, was in Griechenland los ist und wie die europäischen Staatsführer mit dem Problem hinter den Kulissen umgehen.
Unglücklicherweise sind die Notenbanken der Euro-Mitgliedsländer Eigentümer der EZB. Werden also griechische Ramsch-Anleihen aufgekauft, dann geschieht das im Namen aller Bürger des Euro-Raums. Wer nun meinen sollte, dass die Menschen einer erwachsenen Demokratie noch nicht wirklich reif für Informationen dieser Art sind, heißt höchstwahrscheinlich Jean-Claude Trichet, Nicolas Sarkozy oder Angela Merkel. Schließlich verdichten sich die Anzeichen, dass vor allem französische und deutsche Großbanken von den Risken ihrer Griechenland-Engagements befreit worden sind. Das ist zwar überaus nett – wissen wollen würde man es aber trotzdem gerne. Zumal mit den geheim gehaltenen Ankäufen griechischer Pleite-Anleihen auch jene Banken belohnt werden, die sich noch mit hellenischen Staatspapieren eingedeckt haben, als das Ausmaß der finanziellen Misere längst bekannt war.
Aus dem Frankfurter EZB-Bunker werden überhaupt nur noch äußerst spärlich Informationen an eine potenziell interessierte Öffentlichkeit abgesetzt. Ja, es werden weiter europäische Staatsanleihen erworben. Ob es sich dabei auch um spanische, italienische und portugiesische Anleihen handelt oder bis zu welchem Ausmaß Risiken europäischer Banken an die EZB transferiert werden sollen, ist offensichtlich nicht Gegenstand der Informationspolitik.
Zur staatlichen Diskretion passt, dass die Ergebnisse der „Stresstests“ noch immer geheim sind. Durchgeführt werden diese Analysen von den nationalen Notenbanken, um die Schockresistenz der Geldinstitute einigermaßen einschätzen zu können. Jüngsten Einschätzungen zufolge sollen es 195 Milliarden Euro sein, die sich in den Bilanzen europäischer Institute heuer und kommendes Jahr in Luft auflösen werden.
Wo genau das geschehen wird, durfte bis dato kein Mensch wissen. Schließlich sollte ein „Run“ der (zu Recht) verunsicherten Kundschaft auf die von Abschreibungen betroffenen Banken verhindert werden. Das wäre in etwa so, als wüsste die staatliche Flugaufsicht, dass Anbieter mit äußerst dürftig gewarteten Maschinen unterwegs sind – um Panik zu verhindern, würde aber nicht gesagt, um welche Linien es sich dabei handelt.
Künftig sollen zumindest die in europäischen Großbanken durchgeführten Belastungstests veröffentlicht werden. Ein richtiger Schritt. Kleinere Banken müssen aber folgen. Nur über eine erhöhte Transparenz ist nachzuweisen, dass die fundamentalen Daten der Banken besser sind, als vielerorts vermutet wird. Und dass damit auch die Spekulationen über die Schieflage ganzer Länder unbegründet sind. Wer sich einer vollen Transparenz dauerhaft entzieht, verunsichert die Märkte deutlich stärker, als die von der europäischen Politik gerne gescholtenen „US-amerikanischen“ Ratingagenturen dazu jemals in der Lage wären.
franz.schellhorn@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2010)