Am Herd

Touristen

Am Stephansplatz kriecht dir die Kälte in die Knochen.
Am Stephansplatz kriecht dir die Kälte in die Knochen.(c) imago/allOver (KTH)
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Ich frage mich ja immer, was Touristen zwischen Weihnachten und Dreikönig in Wien suchen. Es ist neblig. Der Wind pfeift. Die Bäume sind kahl. Und die Lokale sind voll.

Ich schreibe meine Kolumne im Kaffeehaus. Nicht, dass ich keinen Schreibtisch hätte, ich habe sogar zwei, einen zu Hause und einen in der Redaktion. Und nicht, dass ich mich dort nicht wohlfühlen würde – zu Hause und in der Redaktion. Aber die Kolumnen gehen mir im Café leichter von der Hand, vielleicht weil dort keiner etwas von mir will, kein Kind, kein Mann, kein Kollege, kein Chef. Vielleicht bin ich aber auch nur auf den Apfelstrudel dort konditioniert. Keine Kolumne ohne Apfelstrudel mit Schlag.

Zwischen den Feiertagen wird meine Liebe zum Stammcafé freilich auf eine harte Probe gestellt. Es ist voll. So voll, dass ich nur mit Mühe und Überredungskunst ein noch dazu zugiges Eckchen neben dem Eingang für mich ergattere. So voll, dass nicht einmal mehr die Mäntel in der Garderobe genug Platz haben und sich auf den Bänken drängen. Die Kellner sind genervt, weil sie von Gast zu Gast rennen und zwischendurch auf Englisch erklären müssen, was man in Wien unter einem Mayonnaise-Ei versteht. Auf den Tischen liegen statt der obligatorischen Zeitungen plötzlich Reiseführer. Dauernd geht die Tür auf, weil irgendeine durchgefrorene Touristengruppe Platz zum Auftauen sucht, und jede bringt einen neuen Schwung kalter Luft herein. Mich fröstelt.

Vor der Ankeruhr. Ich frage mich ja immer, was Touristen zwischen Weihnachten und Dreikönig in Wien suchen. Der Wind pfeift durch die Gassen. Am Stephansplatz und vor der Ankeruhr kriecht dir die Kälte in die Knochen, die Rosen im Volksgarten tragen grobe Leinensäcke, die Bäume in Schönbrunn sind kahl, und die Fassaden der Innenstadt sind nur halb so schön, wenn die Sonne untergegangen ist – und sie geht verflixt früh unter Anfang Jänner. Über den Dächern hängt der Hochnebel und tut so, als ginge er nie wieder weg. Nicht einmal ich will rund um Neujahr in Wien sein, und ich liebe diese Stadt fast genauso wie am ersten Tag, als ich überwältigt am Graben stand, den Kopf im Nacken. Was für eine Pracht!

„Warum sind Sie eigentlich hier?“, frage ich die Deutsche, die an meinem Tisch Platz genommen hat. „Also jetzt, mitten im Winter?“ Ich erwarte etwas von wegen Weihnachtsbeleuchtung oder Christkindlmärkten oder Silvesterpfad, doch die Frau zieht nur ihre dünne Jacke fester um sich – gerade ist wieder eine Touristengruppe hereingestürmt – und sagt: „Ich weiß auch nicht. Wir hatten frei.“ Ich rate ihr, im Mai wiederzukommen, da haben die Schanigärten offen, die Kellner ihren Schmäh wiedergefunden, und im Volksgarten blüht es rot und weiß, aber sie winkt ab. Offenbar hat sie von Wien genug.


Mein Stammcafé hat sie übrigens in einem Reiseführer gefunden. Verfluchte Reiseführer.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2020)

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