Culture Clash

Entzweihnachten

Nicht nur die Spätfolgen großmütterlichen Bikervergnügens im Hühnerstall zeigen eine Lagerbildung auf, in der man immer unduldsamer miteinander verfährt.

Eigentlich wollte ich über die Präambel des Regierungsprogramms schreiben, die mit dem lyrischen Passus anhebt: „Österreich ist ein wunderbares Land. Geprägt von Natur und Landschaft in Vielfalt und Schönheit.“ Aber das hat Michael Fleischhacker in seiner Addendum-Kolumne schon viel besser getan, in der er darüber grübelt, ob ein Verfasser solcher Texte „hinterher zur Reinigung ein Gedicht oder eher eine pornografische Kurzgeschichte“ schreibt.

So widme ich mich heute einem Land, das nicht so geprägt ist von Natur und Landschaft. Und darum auch nicht so wie wir auf das „Unterschiede überwinden“ abfährt. Nämlich Deutschland. Anlass ist das Oma-Gate des Westdeutschen Rundfunks.

Ich habe davon durch einen Tweet Jan Böhmermanns erfahren. Zunächst hatte ich den für eine sexistische Geschmacklosigkeit gehalten, weil ich was von Disco-Unterfleisch und anbraten las. Tatsächlich stand da aber: „Wer sich jeden Tag billiges Discounterfleisch aufbrät, ist eine Umweltsau“, und das war, wie ich dann erfuhr, ein Zitat aus dem Liedchen „Meine Oma ist ne alte Umweltsau“ des Kinderchors des WDR. Mit diesem Lied hatten sich die sonst Korrekten eine Unkorrektheit geleistet. Und die sonst Unkorrekten didn‘t, um mit Greta Thunberg zu sprechen, let them get away with it und shitstürmten drauf los.

Klar: Ein steuerfinanzierter Sender, der mit Kindern politisiert und noch dazu in das dort hochschwappende Klassenkampfthema „Wir sauberen Jungen gegen euch dreckige Alte“ einstimmt! Aber war das die Kaskade von Empörung und Entschuldigung und Empörung über die Entschuldigung wert? Tiefpunkt war der Tweet eines WDR-Mitarbeiters, der den Kritikern unterstellte, ihre Omas wären keine Umwelt-, sondern „Nazisäue“ gewesen.

Die Nazikeule ist ja ein Paradeinstrument der Entzweiung. Geradezu exemplarisch hat sie vorweihnachtlich die linke Taz geschwungen: Sie berichtete über ein Interview, in dem der Ex-AfD-Chef Alexander Gauland erzählt hatte, dass ein Teil der Familie mit ihm gebrochen habe. Das frühere gemeinsame Feiern sei „alles weg und tot“. Ich fand das traurig. Welche Chance hat ein Land, in dem man mit den Problembären keinen Umgang mehr hat, sodass ihre Chancen, menschlich zu wachsen, gegen null schwinden? Die Taz hingegen fand das super. Sie empfahl, sich daran ein Beispiel zu nehmen: „Rechtsradikale besucht man nicht, auch nicht zu Weihnachten . . . Man meidet das Pack, ächtet es . . .“ Nur ein publizistischer Entzweiungseinzelfall, aber immerhin.

In Deutschland fehlt eben die Prägung durch Landschaft in Vielfalt wie bei uns.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2020)

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