Gastkommentar

Schwanengesang statt Radetzkymarsch

(c) Peter Kufner
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Seit Monaten steht das Heeresgeschichtliche Museum in Wien im Trommelfeuer von organisierter Kritik. Die Waffen nieder!

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Nicht Bertha von Suttners „Die Waffen nieder! scheint überraschenderweise die Nachtkästchenlektüre der Museumspazifisten von „Stoppt die Rechten“ – „Falter“, „Standard“ oder „Augustin“ (!) – zu sein, sondern Carl von Clausewitz' Theorie der Kriegsführung. Dass Museumspolitik die Fortsetzung des Krieges mit unsachlichen Mitteln sei, steht dort freilich nicht geschrieben.

Wer die österreichische Museumslandschaft zum Schauplatz eines Reformkreuzzugs macht, sollte etwas mehr vorweisen können als politische Totschlagsargumente („blaue Netzwerke“, „braune Flecken“). Und sei es nur eine bemüht zeitgeistige Militärgeschichte mit den Schwerpunkten „Disziplin, Körper und Geschlecht“, wie sie die SPÖ-Sprecherin für Erinnerungskultur, Sabine Schatz, in einer eigenen parlamentarischen Anfrage einmahnt. Wahrscheinlich gefällt der Abgeordneten das (umstrittene) Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden, das außer dem millionenschweren Umbau durch einen Stararchitekten in erster Linie den in Deutschland zu erwartenden Eiertanz der Betulichkeit zu bieten hat.

Vergangenheitspsychiatrie

Seit das emotionalisierte Erinnern und Gedenken als gut verdauliche Leichtversion mühsamer „Vergangenheitsbewältigung“ quasireligiöse Züge angenommen hat, spielt auch die Geschichte wieder eine beachtliche öffentliche Rolle.

Vor allem Zeithistoriker verdingen sich im Dunstkreis der Politik gern als Messdiener der neuen Staatsliturgie. Häuser der Geschichte versuchen, unser Geschichtsbild zu steuern: von der prahlerischen Heldengeschichte zum weinerlichen Opferkult. Der neue Geschichtsmoralismus, der um vergangene Schuld kreist und doch nur Vergebung erzwingen will, hat auch eine zerstörerische Seite.

Geschichte als Vergangenheitspsychiatrie muss für einen Therapieerfolg das unbequeme Gestrige beseitigen. Obsessiv versuchen sich daher Geschichtsexorzisten an Denkmälern, an Bauwerken, ja sogar an Texten, die nicht mit der engen Vorstellungswelt der Historical Correctness harmonieren.

Manche Großkapitel der Menschheitsgeschichte schlägt selbst der Historiker vom Fach erst gar nicht auf. Krieg und Militär etwa gehören zu den seit 1945 in unseren Breiten weitgehend tabuisierten Problemkreisen. Glücklich ist, wer vergisst . . .

Insofern grenzt es fast an ein Wunder, dass das im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörte und geplünderte Heeresmuseum (1891 als Ruhmestempel der k. u. k. Armee eröffnet) 1955 als Heeresgeschichtliches Museum (HGM) wiederbelebt werden konnte, noch dazu als nachgeordnete Dienststelle des Landesverteidigungsministeriums. Der Begriff „Heeresgeschichte“ meint eigentlich die innere Geschichte des Militärs und schien den Verantwortlichen der unmittelbaren Nachkriegszeit weniger militarismusverdächtig.

Der Namenswechsel war aber wohl ein Etikettenschwindel, denn die Neugestaltung der Schauräume mit ihrer gezielt ästhetisierenden Präsentation von altösterreichischen Uniformen, Fahnen, Orden und Waffen unter Beigabe auflockernder bildender Kunst machte aus dem Heeresmuseum in Wahrheit ein „Heereskundliches“ Museum.

Leider hat es die „Heereskunde“, die Beschäftigung mit der militärischen Realie, hierzulande nie zu einer erweiterten Wirtschafts- und Kulturgeschichte des Militärs gebracht. Als selbstzweckhafte „Knopfologie“ blieb sie im Wesentlichen Domäne der Sammler und Hobbyhistoriker. Entsprechendes findet sich in den Shops von Militärmuseen.

Auch eine moderne „Militärgeschichte“, die eben nicht „Kriegsgeschichte“ ist, konnte sich bei uns nicht entwickeln, am allerwenigsten an den Universitäten. Gestört hat das bisher kaum jemanden.

Keine Heldenverehrung

Selbst wenn Generationen von Grundwehrdienern durch die Säle geschleust wurden: Heldenverehrung oder gar militärische „Traditionspflege“ fanden hier nicht wirklich statt. Wie Schönbrunn und die Lipizzaner gehörte das Heeresgeschichtliche Museum als schaurig-schöner Anachronismus einfach und unhinterfragt zu Österreich, das sich selbst ja so gern als „republikanisches Museum der Habsburgermonarchie“ präsentiert.

Über 1918 ging man nicht hinaus. Erst Manfried Rauchensteiner, von 1992 bis 2005 Direktor des HGM und vom Militärhistoriker zu einem der führenden Zeithistoriker des Landes aufgestiegen, hat die Schausammlung bis 1945 erweitert. Er wollte das Arsenal zu einem Nationalmuseum umgestalten und hat sich daher zielorientiert in die damals einsetzende Diskussion um ein „Haus der Geschichte“ eingeschaltet.

Todsünde Didaktikferne

Der 1998 eröffnete Saal zur österreichischen Zeitgeschichte wurde und wird heftig kritisiert. Mit gutem Recht, denn hier erreichte die Tradition der unkommentierten Ausschüttung von Exponaten, die den Besucher verwirrt und verärgert zurücklässt, ihren gefährlichen Höhepunkt.

Diese informationsbefreite Didaktikferne, eine klassische Todsünde fast aller Geschichtsmuseen, wird man Rauchensteiners Nachfolger im Amt und dessen Mitarbeitern aber schwerlich vorhalten dürfen. Sie zeichnen für die Neudarstellung des Ersten Weltkriegs verantwortlich, die internationalen Standards entspricht. Für eine durchgreifende Modernisierung der übrigen, zum Teil arg in die Jahre gekommenen Schausäle wären finanzielle Mittel erforderlich, über die das Österreichische Bundesheer derzeit ja nicht einmal für eine effiziente Luftraumüberwachung verfügt.

Wer blauäugig auf das Imperial War Museum in London als mögliches Vorbild verweist, verkennt die Finanzkraft dieser Anstalt – und mehr noch die Militäraffinität der Briten, die am effektheischenden musealen Kriegsspiel nichts Anstößiges finden.

Womit wir bei den (museums-)politischen Gründen für das Kesseltreiben gegen das Heeresgeschichtliche Museum angelangt sind. Das Arsenal soll den Klauen des zuletzt ohnedies verdächtig unengagierten Verteidigungsministeriums entrissen und dem Museumsverbund unter kulturministerieller Aufsicht eingegliedert werden. Personalaustausch inklusive.

Wattierte Kuschelwelt

Dann, endlich, lässt sich das HGM mit dem herbergsuchenden Haus der Geschichte zusammenlegen (Thomas Drozda) oder zumindest in ein zeitgemäßeres „Friedensmuseum“ (Eva Blimlinger) verwandeln. Eines der ewig gleichen Architekturbüros wird gern für viel Geld selbst Theophil Hansens Prachtbau zu einem familienverträglichen Ikea-Schauraum infantilisieren.

In unserer wattierten Kuschelwelt gehören Kriege, so scheint es, nicht einmal mehr ins Museum. Bald wird es daher auch dem Landeszeughaus in Graz und der Hofjagd- und Rüstkammer des Kunsthistorischen Museums an den Kragen gehen. Make love, not war!

Der Autor

Michael Hochedlinger (* 1967) ist Militärhistoriker und Fellow of Sidney Sussex College Cambridge. Von 1995 bis 1999 war er Mitarbeiter des Heresgeschichtlichen Museums. Von ihm zum Thema:„Bella gerant alii?“ (1999), „Austria's Wars of Emergence 1683–1797“ (2003) und „Fake History“ (2018).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2020)

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