Donald Tusk (l.) beim Tête-à-Tête mit Großbritanniens Premier David Cameron im Vorfeld des Brexit-Referendums.
Memoiren

Donald Tusks Zwischenbilanz

Der ehemalige Ratspräsident publiziert sein politisches Tagebuch. Tusk kritisiert das EU-Management der Flüchtlingskrise – und ist voller Lob für Van der Bellen.

Wenn ein Verkäufer lauthals seine Ehrlichkeit anpreist, ist für gewöhnlich Vorsicht angesagt. Im Falle von Donald Tusk gilt diese eherne Regel des Selbstschutzes nur eingeschränkt – und zwar aus drei Gründen. Erstens handelt es sich bei der solcherart angepriesenen Ware um Tusks Memoiren aus seinen vergangenen fünf Jahren als Präsident des Europäischen Rats – der zu erwartende Schaden bei einem potenziellen Fehlkauf ist also gering. Zweitens ist bei politischen Tagebüchern von vornherein nicht davon auszugehen, dass ihre Verfasser den Lesern die ungeschminkte Wahrheit vermitteln wollen – vor allem dann nicht, wenn sie, wie Tusk, nach wie vor politisch aktiv sind. Und drittens ermöglicht Tusks Zwischenbilanz (er ist seit Dezember Vorsitzender der Europäischen Volkspartei) abseits der Interessen des Autors in der Tat einen Blick hinter die Kulissen der Europapolitik in den turbulenten Jahren 2014 bis 2019.

Die mit „Szczerze“ („Ehrlich“) betitelten und reichlich bebilderten Memoiren sind Ende Dezember in Polen erschienen – eine deutsche Übersetzung ist vorerst nicht geplant. Tusk – der erste Osteuropäer, der ein hohes EU-Amt bekleidet hat – wollte sich nach seinem Umzug nach Brüssel primär den Beziehungen zur Ukraine widmen: In den Monaten nach seiner Amtsübernahme am 1. Dezember 2014 konzentrierte sich der ehemalige polnische Premierminister voll auf die Stabilisierung des östlichen Nachbars Polens und auf die Gewährleistung der europäischen Einstimmigkeit im Konflikt mit Russland. Doch eine Abfolge von unerwarteten Ereignissen machte ihm zusehends einen Strich durch die Rechnung: zunächst das Beinahe-Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone im Juli 2015, wenige Monate später die Flüchtlingskrise, gefolgt vom Brexit-Referendum im Juni 2016 und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im darauffolgenden November.

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