Anhänger und Gegner Maduros wählten jeweils eigenen Parlamentspräsidenten. Unklar ist, wie die Volksvertretung funktionieren soll.
Buenos Aires/Caracas. Das institutionelle Drama in der bolivarischen Republik Venezuela ist um ein Kapitel reicher. Nun hat das Land nicht nur zwei Präsidenten und zwei Parlamente, sondern auch zwei Parlamentspräsidenten. Am Sonntag versuchte die Nationalversammlung, also die einzige Institution, die Ende 2015 in weitgehend freien Wahlen zustande kam, turnusgemäß ihren Vorsitzenden zu wählen. Seit einem Jahr wurde die Körperschaft, die deutlich dominiert wird von Abgeordneten, die den herrschenden Chavisten kritisch gegenüberstehen, von Juan Guaidó geleitet. Dieser hatte aus dieser Position die Führung des Staats beansprucht, weil er der Ansicht ist, dass die Wiederwahl von Nicolás Maduro 2018 manipuliert war. 58 Staaten, darunter Österreich, schlossen sich vor knapp einem Jahr Guaidós Argumenten an und erkannten ihn als legitimen Übergangspräsidenten an.
Nun wollte sich Guaidó als Parlamentspräsident wiederwählen lassen, aber dazu kam es nicht, weil Einheiten von Polizei und Nationalgarde einen Großteil der Oppositionsabgeordneten nicht ins Parlamentsgebäude einließen. Dort versammelten sich allein Chavistas und eine kleine Gruppe von Oppositionellen. Allerdings waren gegen genau diese Parlamentarier vor einigen Wochen heftige Vorwürfe laut geworden, sie seien von der Regierung gekauft worden. Ein Investigativmedium veröffentlichte Dokumente, die diese Parlamentsmitglieder mit dubiosen kolumbianischen Geschäftsleuten in Verbindung brachten, welche die intransparente Verteilung von Lebensmittelpaketen an die arme Bevölkerung organisieren. Ausgerechnet einen dieser Parlamentarier wählte die Minderheitsversammlung schließlich zu ihrem Präsidenten, in einem Expresswahlgang, während Kameras Juan Guaidó dabei filmten, wie er den Zaun des Parlamentsgebäudes zu überklettern versuchte. Dass an der Abstimmung nicht die erforderliche Anzahl von Abgeordneten teilnahm, störte den Machthaber Nicolás Maduro nicht. Er erkannte die Wahl des korruptionsverdächtigen Luis Parra an.