Dommuseum

Die heilige Familienaufstellung

Hyperrealistische Figuren wie diese vom Australier Sam Jinks sind die spektakulären Anziehungspunkte der Ausstellung im Dommuseum: „Woman and Child“, 2010. Ist es Sara, die Isaak hält? Jene Assoziation liegt an diesem Ort nahe.
Hyperrealistische Figuren wie diese vom Australier Sam Jinks sind die spektakulären Anziehungspunkte der Ausstellung im Dommuseum: „Woman and Child“, 2010. Ist es Sara, die Isaak hält? Jene Assoziation liegt an diesem Ort nahe.(c) Courtesy of the Artist and Sullivan + Strumpf/Foto: Lena Deinhardstein
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„Family Matters“ ist eine Konversationsausstellung im besten Sinn: Nicht allzu, aber doch so ausreichend provokant, dass man nicht einfach durchrauschen kann.

Die heilige Familie – nie ist sie präsenter als um die Weihnachtszeit. Als religiöse Vorstellung des Spätmittelalters in den Krippen katholischer Kirchen. Als bürgerliches Konstrukt des späten 18. Jahrhundert in unseren Köpfen und Fernsehgeräten. Josef, Maria, Jesus, gespiegelt von Vater, Mutter, Kind. Ochs und Esel in wechselnder Besetzung. Doch wo ist, zum Beispiel, der Heilige Josef den Rest des Kirchenjahrs? Diese Frage kann einen schon umtreiben, gibt es für sie doch keine letztgültige Antwort, man weiß zu wenig über ihn, vielleicht starb er schon vor der Taufe Jesu, vielleicht kurz vor dem Kreuztod.

Auch in der aktuellen Sonderausstellung des Wiener Dommuseums muss man die Väterbilder suchen, die zärtlichen schon gar. Aber man findet sie, schließlich hat Direktorin Johanna Schwanberg fast zwei Jahre an „Family Matters“ gearbeitet: Vertraut kuschelt sich das Kind an Josefs Schulter in der Belvedere-Leihgabe von Diodato Massimo. Legt der Edelmann in Tintorettos Porträt stolz und fürsorglich den Arm auf die Schulter des Sohnes (Liechtenstein-Sammlung). Trägt der mächtige Sohn den Vater wie einen Säugling auf den Armen in Neo Rauchs „Vater“-Vision (der Leipziger Maler verlor die Eltern mit vier Wochen bei einem Autounfall).

Die Suche nach dem Vater – das ist nur ein Weg, den man durch diese dichte, wohl für jeden emotionale Ausstellung wählen kann. Es ist sicher nicht der aufdringlichste. Der führt direkt zu den zwei spektakulären hyperrealistischen Skulpturen, die Schwanberg als Leihgaben ergattern konnte. Auch diesmal, bei der mittlerweile dritten Sonderschau im neu eröffneten Dommuseum, setzt sie auf gediegen provokante Gegenüberstellungen zwischen historischer und zeitgenössischer Kunst. Im Zentrum diesmal die intensive Begegnung zweier Frauenbilder: Die hölzerne Thernberger Madonna um 1320, eine konventionelle gotische Maria mit Kind, und in respektablem Abstand die so erschreckend realistisch nachgebildete „Frau mit Kind“ des Australiers Sam Jinks.

Sara gebar Isaak mit 90 Jahren

Diese Frau ist nicht näher bezeichnet, aber alt, älter jedenfalls als wir uns Mütter heute vorstellen. Verletzlich, im Nachthemd und mit geschlossenen Augen, steht sie in der Mitte des Raums und drückt sanft ein nacktes Baby an ihre Brust (das uns etwas verdrießlich von der Seite ansieht). Wo sollen wir hier beginnen? Mit den Großmüttern, die manchen Enkeln die wahren Mütter sind? Mit der Zukunft, in der Alter bei der Reproduktion keine Rolle spielt? Oder mit der Vergangenheit, als einmal, im Alten Testament war es, geschrieben stand von Abrahams Frau Sara, die mit 90 Jahren noch Isaak gebar. Und bei der Vorstellung darüber in seltenes biblisches Lachen ausbrach.

In auf den ersten Blick so beruhigende, vier weit gefasste, thematische Kapitel gegliedert, ist diese Ausstellung ein scheinbar uferloses Konversationsstück. Wobei Schwanberg bei der Vorbereitung auffiel, dass das Motiv der Familie die bildende Kunst nicht unbedingt beherrschte, im Gegenteil. Arbeiten sich Künstler ohne Unterlass und Gnade am politischen Weltgeschehen, am Leid der anderen ab, werden gerade die dunklen Seiten dieser intimsten Kapsel unserer Gesellschaft selten aufgeschlagen. Maria Lassnig ist eine der wenigen, die sich auch vor Drastik nicht scheute: In „Obsorge“ zerren ein Vater und eine Mutter ganz und gar nicht salomonisch an einem Säugling.

Fast alle zeitgenössischen Arbeiten schlagen (unfreiwillig) Bögen zu biblischen Geschichten oder tradierten Darstellungsformen. Die gern thematisierte, alles dominierende Übermutter – was ist sie anderes als die alte Schutzmantelmadonna? (Auf keinen Fall sollte man das Dommuseum verlassen, ohne die wunderschöne gotische Wiener Schreinmadonna in der Dauerausstellung besucht zu haben.) Oder Hagar, die verstoßene Leihmutter von Sara und Abraham – kann man sie wiedererkennen in der blassen, überarbeiteten Alleinerzieherin, das Kind an den Leib geschnallt, zwei schwere Einkaufssackerln in den Händen? Am Ende stehen wir vor dieser zweiten hyperrealistischen Skulptur, vom Großmeister Ron Mueck persönlich. Sind das die Madonnen von heute? Und ihre abwesenden Josefs? Die stellt schon wieder niemand dar.

Bis 30. 8., Stephansplatz 6, Mi–So 10–18 h, Do 10–20 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2020)

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