Jubiläum

Als im Wiener Musikverein Polarforscher auf der Bühne standen

Am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es vor dem Musikverein Bäume.
Am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es vor dem Musikverein Bäume.Archiv Hofmann
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Vor 110 Jahren – 40 Jahre nach seiner Eröffnung – beehrte der Brite Sir Ernest Shackleton den Goldenen Saal des Musikvereins und wurde vom Who is Who der Wiener Gesellschaft bejubelt. 1913 folgte der Norwegen Roald Amundsen.

Das Musikvereinsgebäude, das vor 150 Jahren, am 6. Januar 1870 feierlich eröffnet worden war, steht in erster Linie für musikalische Darbietungen. Weniger bekannt sind Auftritte renommierter Wissenschaftler in dem von Theophil Hansen errichteten Bau. Vor allem in der Frühzeit begeisterten hier immer wieder prominente Forscher das Publikum und wurden mit Standing Ovations geehrt.

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Der Brite Sir Ernest Shackleton (1874-1922) gehört wie der Norwegen Roald Amundsen (1872-1928) zu den großen Polarforschern, beide begeisterten bei ihren Vortragsreisen, die sich auch nach Wien führten, das Publikum. Shackleton war am Sonntag den 9. Januar 1910 via Berlin nach Wien gekommen und stieg im Hotel Meissl & Schadn auf der Kärntnerstraße Nr. 16 (Neuer Markt 2) ab. Der Vortrag über seine Antarktis-Expedition im Goldenen Saal des Musikvereins am Montag den 10. Jänner 1910 um 19:30 Uhr war in Deutsch angekündigt. Darüber war er wenig amused. Doch einen Mann, der am 6. August 1907 England mit der Nimrod-Expedition verlassen hatte, am 9. Jänner 1909 auf einer geografischen Breite von 88° 23´, nur 24 Meilen vom Südpol entfernt war, aber umkehren musste, konnte auch das nicht erschüttern.

„… führte einen Kampf mit unserer Sprache…“ 

„Das Bewußtsein, eine förmliche Prüfung über seine Kenntnisse im Deutschen ablegen zu sollen, ließ ihm die Worte weit langsamer von den Lippen kommen, als im Privatgespräche. Er fühlte sich seiner Sache nicht ganz sicher, zumal englische Freunde – wie Sir Ernest nach dem Vortrage unserem Referenten sagte – ihn geradezu gewarnt hatten, sich des Deutschen zu bedienen. Sie meinten, er spreche es schlecht, daß ihn niemand verstehen würde. Dies ist nun absolut nicht der Fall gewesen. Jedes Wort in die einzelnen Silben gliedernd, mühte sich Sir Ernest, möglichst deutlich zu werden, wiederholte ein oder den anderen seiner Zunge gar zu ungewohnten Ausdruck, er führte einen Kampf mit unserer Sprache, anglisierte manchen Vokal – blieb aber schließlich Sieger.“ (Neue Freie Presse, 11. Januar 1910).

Shackleton, ein entschlossener Erforscher der Antarktis, der das Risiko gut einschätzte.
Shackleton, ein entschlossener Erforscher der Antarktis, der das Risiko gut einschätzte.Shackleton: Im sechsten Erdteil, Leipzig 1927.

Shackleton wurde im Musikverein vom Who is Who der Wiener Gesellschaft bejubelt. Unter den Anwesenden waren Erzherzog Friedrich (1856-1936), der „den kühnen Forscher“ persönlich beglückwünschte, Vertreter der englischen Botschaft, die Präsidenten der k.k. Geographischen Gesellschaft, Eugen Oberhummer (1859-1944) und der Akademie der Wissenschaften, Eduard Suess (1831-1914), der Chirurg Anton Freiherr von Eiselsberg (1860-1939) und viele mehr.

Shackleton: Trotz Scheiterns wissenschaftlich erfolgreich

Unter den gezeigten Lichtbildern gab es auch eines mit drolligen Pinguinen vor einem Grammophon. Shackletons Expedition war wissenschaftlich sehr ergiebig: „Wir entdeckten 100 Berge, fanden Kohle, versteinerte Nadelhölzer, fanden unbekannte Mikroben im Eise. Der gleichzeitig nach anderer Richtung ausgegangenen Expedition, die 122 Tage unterwegs war, gelang die Auffindung des südmagnetischen Pols. Wir landeten in Neuseeland 449 Tage nach unserer Abreise und kamen ohne Verlust eines einzigen Menschenlebens zurück.“

Shackleton bot den arktischen Pinguinen musikalische Unterhaltungen.
Shackleton bot den arktischen Pinguinen musikalische Unterhaltungen. Shackleton: Im sechsten Erdteil, Leipzig 1927.

Shackleton, der den Pol wahrscheinlich erreichen hätte können, aber sicher nicht mehr zurückgekommen wäre, weil die Lebensmittelvorräte und auch die Kräfte der Männer am Ende waren, wusste wo das Limit war und wann der Zeitpunkt zum Umkehren kam. Damit nicht genug: Shackleton sollte dann auch mit der Endurance-Expedition (1914 bis 1917) mit dem Ziel die Antarktis zu durchqueren, abermals scheitern.

Amundsen steht als erster am Südpol

Amundsen hingegen war erfolgreicher, er hatte mit der Fram, von Norwegen kommend, am 14. Dezember 1911 den Südpol erreicht. Der Brite Robert F. Scott (1868-1912) erreichte als zweiter Mensch am 18. Januar 1912 den Pol, bei der Rückkehr verstarb er. Der „Wettlauf“ von Amundsen und Scott um die Bezwingung der Antarktis sollte in die Wissenschaftsgeschichte eingehen.

Amundsens zweibändiges Werk „Die Eroberung des Südpols“ war 1912 erscheinen.
Amundsens zweibändiges Werk „Die Eroberung des Südpols“ war 1912 erscheinen.ZAMG

Zwei Jahre später, am 25. November 1913, war auch Amundsen im Musikverein und zeigte mehr als 100 Lichtbilder. Im Publikum, das „den Saal bis auf das letzte Plätzchen“ füllte waren unter anderem Erzherzog Leopold Salvator (1863-1931), Graf Wilczek (1837-1922), sowie zahlreiche Wissenschaftler. Kapitän Roald Amundsen, der Entdecker des Südpols sprach in Deutsch, wobei bemerkt wurde, dass er „eine eigentümliche, fremdartige Aussprache“ hatte. Er redet langsam, in kurzen Sätzen, „eindringlich“. Zu guter Letzt ist in der Neuen Freien Presse (26. November 1913) zu lesen: „Am Schlusse des Vortrages erntete Kapitän Amundsen langanhaltenden Beifall.“

Über den Autor

Thomas Hofmann ist Leiter der Bibliothek, des Verlages und des Archivs der Geologischen Bundesanstalt und freier Autor.

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