Fiktion und Holocaust

„X of Auschwitz“ als Büchertrend

John Boyne.
John Boyne.(c) imago/CTK Photo (Michal Krumphanzl)
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Autor John Boyne („Der Junge im gestreiften Pyjama“) hat vor Auschwitz als Verkaufsmasche gewarnt. Das Auschwitz Memorial Museum reagierte – mit einer Warnung vor Boynes Roman.

Mit seinem Roman über den Sohn eines KZ-Aufsehers, der sich im Lager „Out-With“ mit einem jüdischen Buben anfreundet, hat der Ire John Boyne 2006 einen Welterfolg gelandet. „Der Junge im gestreiften Pyjama“ wurde in 46 Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt. Nun hat sich Boyne jedoch auf Twitter Kritik vom Auschwitz Memorial Museum eingetragen – nachdem er selbst in Auschwitz spielende Romane kritisiert hatte.

Boyne hatte am 7. Jänner Unbehagen angesichts einer Inflation von Romanen geäußert, die Titel nach dem Muster „X of Auschwitz“ trügen: etwa „Der Tätowierer von Auschwitz“, „Die Brüder Auschwitz“, „Der Saboteur von Auschwitz“ oder „Der Bibliothekar von Auschwitz“. Er habe das Gefühl, tweetete der 48-Jährige, dass „Verleger und Autoren ein Genre aufbauen, das sich gut verkauft“. Das Thema sollte mit „ein wenig mehr Nachdenken und Rücksicht“ behandelt werden. „Wir verstehen diese Bedenken“, twitterte daraufhin das Auschwitz Memorial Museum, „und wir haben bereits auf Ungenauigkeiten in manchen veröffentlichten Büchern hingewiesen.“ Und es verlinkte zu einem Essay, der vor dem Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“, warnte: Er trage dazu bei, „gefährliche Mythen über den Holocaust zu zementieren“. Die Kritikpunkte darin sind nicht neu, der wichtigste: Die Figur des kleinen unwissenden Bruno könne den Glauben nähren, dass die meisten deutschen Zivilisten nichts über die Vorgänge in den Lagern gewusst hätten. Außerdem gab es keine untätigen neunjährigen jüdischen Buben wie Brunos Freund in Auschwitz – Kinder dieses Alters wurden meist direkt in die Gaskammern geschickt.

Vermischung von Fakten und Fiktion

Boynes Twitter-Kritik zielte freilich gar nicht auf historische Unwahrscheinlichkeiten, sondern auf Auschwitz als Verkaufsmasche auf dem Buchmarkt. Den von ihm konstatierten Hang zum Genre „X of Auschwitz“ gibt es im englischsprachigen Raum jedenfalls: Es begann 2017 mit „The Librarian of Auschwitz“ über ein 14-jähriges Mädchen, das beginnt, sich um Bücher der Häftlinge zu kümmern. 2018 erschien „The Tattooist of Auschwitz“ (unter dem Titel „Der Tätowierer von Auschwitz“ bei Piper erschienen): eine Liebesgeschichte über einen Mann, der sich in ein Mädchen verliebt, dem er die Lagernummer eintätowieren musste. 2019 kam nicht nur eine Fortsetzung, „Cilka's Journey“, sondern auch der Roman „The Saboteur of Auschwitz“ über einen in Auschwitz inhaftierten britischen Soldaten; der Verlag nannte als dessen Zielgruppe ausdrücklich „Fans von ,The Tattooist of Auschwitz‘“ und ,The Librarian of Auschwitz‘. Ebenfalls 2019 erschien „The Brothers of Auschwitz“. Außer Letzterem berufen sich alle Romane dabei auf „wahre Begebenheiten“, von Häftlingen erzählt.

Es ist diese Vermischung, die auch Institutionen wie das Holocaust Memorial Museum als heikel sehen: weil sie Leser dazu verleiten kann, Fiktion mit Fakten zu verwechseln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2020)

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