Gastkommentar

Der Irrglaube an die Wunderwaffe Attentat

(c) Peter Kufner
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US-Präsident Trump glaubte offenbar, mit der Liquidierung von General Qasem Suleimani habe er die Probleme mit seinem Erzfeind Iran gelöst. Doch die Geschichte zeigt, dass Attentate die Konflikte eher verschlimmern.

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Einem Möchtegern-Kriegsherrn wie US-Präsident Donald Trump, der sich fünf Rückstellungen besorgte, um seinem Kampfeinsatz in Vietnam zu entgehen, müssen Attentate wie eine außenpolitische Wunderwaffe vorkommen. Man beseitige die Führung des Feindes mit einem Drohnenangriff oder einem Gewehrschuss – und schon sind alle Probleme gelöst.

Tatsächlich gibt es keine historische Grundlage für die Annahme, dass Attentate irgendetwas lösen. Andererseits aber gibt es jede Menge Präzedenzfälle, die belegen, dass man damit eine Situation noch weiter verschlimmert.

Bei Attentaten handelt es sich in beinahe allen Fällen um verzweifelte, hochriskante Unterfangen, die in der Regel nicht von Staatsmännern, sondern von strammen Ideologen ausgeführt werden. Das steht zumindest seit dem „Goldenen Zeitalter“ der Attentäter – Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa und Amerika – fest.

„Propaganda mit Dynamit“

In diesen Jahrzehnten ermordeten Anarchisten zwei US-Präsidenten (James A. Garfield und William McKinley), einen russischen Zaren (Alexander II.), eine Habsburger-Kaiserin (Elisabeth, Ehefrau von Franz Joseph I.), einen italienischen König (Umberto I.), einen französischen Präsidenten (Sadi Carnot) und zwei spanische Ministerpräsidenten (Antonio Cánovas del Castillo und José Canalejas y Méndez).

Die zwei Helden dieser Anarcho-Attentäterbewegung, Michail Bakunin und Fürst Pjotr Kropotkin, waren Russen, was nicht weiter überrascht. Denn in den Worten eines von Georg Herbert zu Münster zitierten anonymen russischen Diplomaten dieser Zeit konnte das Russland des 19. Jahrhunderts als „durch Attentate abgemilderter Absolutismus“ beschrieben werden. Sowohl Bakunin als auch Kropotkin verlegten sich auf Attentate, die sie als „Propaganda der Tat“ bezeichneten.

Korrekter allerdings ist die Bezeichnung „Propaganda mit Dynamit“ der Harvard-Kulturwissenschaftlerin Maya Jasanoff in ihrer informativen Studie mit dem Titel „The Dawn Watch: Joseph Conrad in a Global World“. Jasanoff schrieb über Conrads Roman „Der Geheimagent“, in dem der polnisch-englische Schriftsteller die düster-zynische Geschichte eines Händlers für pornografische Erzeugnisse erzählt, in der nicht irgendein politischer Fanatiker, sondern ebendieser Händler eine terroristische Gräueltat plant. Derartiger Vorgehensweisen, so scheint Conrad nahezulegen, bedienen sich verrückte Sonderlinge, desperate Unzufriedene und moralisch korrupte Personen, nicht aber hochrangige Regierungsführer.

Japans Mörder in Uniform

Am Ende brachte die gewalttätige Anarchie eines Bakunin und Kropotkin die Sowjetunion hervor, die in der Stalin-Ära der totalitärste Staat war, den die Welt jemals erlebt hatte. Obwohl China unter Mao Zedong ebenfalls Anwärter auf diesen Titel gewesen wäre und Entwicklungen wie Big Data, Gesichtserkennungstechnologie und künstliche Intelligenz den aktuellen Präsidenten, Xi Jinping, möglicherweise in die Lage versetzen werden, diesen Titel zu behalten. Wenn das zaristische Russland eine Form des „durch Attentate abgemilderten Absolutismus“ darstellte, dann perfektionierte Japan in den 1920er- und 1930er-Jahren eine Form der Politik, im Rahmen derer Mord das Mittel der Wahl von Militärs wurde, um die Regierungspolitik zu beeinflussen. Entschlossen, den zivilen Widerstand gegen die japanische Invasion und Machtübernahme in China zu eliminieren, verübten extrem nationalistische Elemente in der japanischen Armee und Marine eine Reihe von Attentaten, um ihre politischen Ziele zu erreichen.

Premierminister Inukai Tsuyoshi wurde 1932 ermordet. Ursprünglich hatten die Offiziere auch vorgehabt, Charlie Chaplin zu töten, den Inukai am Tag seiner Ermordung als Gast bei einem Empfang begrüßt hatte.

Mordbefehle aus Rachsucht

Die milden Strafen für die Attentäter förderten noch weiteres und umfassenderes politisches Blutvergießen. Obwohl es den Verschwörern des „Zwischenfalls vom 26. Februar“ nicht gelang, Premierminister Keisuke Okada zu töten oder Kaiser Hirohito als Geisel zu nehmen, gelang es ihnen sehr wohl, Finanzminister Takahashi Korekiyo sowie einen der engsten militärischen Berater Hirohitos, Admiral Saitō Makoto, zu ermorden. Ein weiterer Militärberater, Admiral Kantarō Suzuki, wurde verwundet.

Diese Attentate waren in grauenvoller Weise erfolgreich, weil die japanischen Militaristen die Regierung und das Kaiserhaus derartig einschüchterten, dass ihre Politik in China und anderswo nicht mehr infrage gestellt werden konnte. Der Weg in den Krieg und damit Japans endgültigen Ruin war somit bereitet.

Es stimmt, dass manche staatlich geförderten Attentate ein Element persönlicher Rache in sich tragen. Stalin verabscheute Leo Trotzki und war zweifellos erfreut, als der spanische Kommunist und sowjetische NKWD-Agent Ramón Mercader einen Eispickel im Haupt des einstigen Stalin-Rivalen versenkte. Und dem russischen Präsidenten, Wladimir Putin, wurde vorgeworfen, er habe 2006 die Ermordung des einstigen KGB-Agenten Alexander Litwinenko mittels radioaktiven Poloniums sowie die Vergiftung von Sergej Skripal und seiner Tochter angeordnet, die 2018 den Angriff mit dem Nervengift Nowitschok aber glücklicherweise überstanden.

Gift und explosive Zigarren

Dennoch sollten sich die Demokratien dieser Welt im Hinblick auf Attentate nicht in Selbstgerechtigkeit üben. Es ist leicht vorstellbar, dass ein gewisses Maß an gekränkter Eitelkeit hinter den beharrlichen Bemühungen zur Ermordung von Kubas Fidel Castro stand, wobei man alles von Gift bis hin zu explodierenden Zigarren versuchte. Und es war ein britischer Attentatsversuch auf Napoleon, der nach dem Frieden von Amiens den Krieg in Europa zurückkehren ließ.

Mit Benjamin Jones von der Northwestern University und Benjamin Olken vom MIT haben zwei Politikwissenschaftler versucht zu quantifizieren, wie ungeeignet Attentate als Mittel der Politik sind. Sie untersuchten 298 Attentate bis zurück ins Jahr 1875 und stellten fest, dass der Erfolg keineswegs garantiert war. Tatsächlich endeten lediglich 59 der Attentatsversuche mit der Tötung der Zielperson.

Noch bedeutsamer: Die Untersuchungen von Jones und Olken weisen einen direkten Bezug zur Ermordung von Qasem Soleimani auf. Die beiden Forscher stellten fest, dass derart gezielte Tötungen durch Regierungen wenig dazu beitragen, einen Krieg zu verhindern oder ihn auf ein Minimum zu begrenzen.

Wie also bei Trump üblich, war die Welt Zeugin einer leeren – aber auf lange Sicht möglicherweise sehr kostspieligen – Geste.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2020


E-Mails an:debatte@diepresse.com

DIE AUTORIN

Nina L. Chruschtschowa (geboren 1964) studierte an der Moskauer Staatsuniversität und dissertierte an der Universität Princeton. Sie ist die Enkelin des früheren Sowjetführers Nikita Chruschtschow. Derzeit Professorin für internationale Angelegenheiten an der New School. Ihr jüngstes, gemeinsam mit Jeffrey Tayler verfasstes Buch: „In Putin's Footsteps: Searching for the Soul of an Empire Across Russia's Eleven Time Zones“. [ Project Syndicate]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2020)

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