Mein Freitag

Gondelfahren mit fremden Leuten

Dafür, dass niemand mehr Ski fährt, sind die Pisten ganz schön voll. So voll, dass sich schon um 8.30 Uhr Schlangen vor den Gondeln bilden wie sonst nur kurz nach der Elf-Uhr-Karte: Viele glauben, mit dem frühen Beginn den vielen Menschen zu entkommen.

Wenn schon morgens ein Plan gründlich danebengeht, kippt die Stimmung. Schlecht gelaunte Menschen schlichten sich in die Zehnergondeln und ärgern sich über alle anderen, die auch schon da sind.

In diesem Moment erkennt man, dass der technische Fortschritt den Skiurlaub nur scheinbar besser gemacht hat. Vor vielen Jahren, als Gondeln nur alle zwanzig Minuten fuhren und rund 80 Menschen fassten, gab es (mit Ausnahme des Einsersessellifts) keine schlimmere Beförderung. Nur ganz am Rand, an die Scheiben gepresst, ließ sich die quälend lange Fahrt halbwegs würdevoll überleben, sonst wurde man an Menschen und Skikanten gequetscht, konnte kaum atmen (aus vielerlei Gründen) und musste sich wie ein Schilfhalm mit allen mitbiegen, wenn die Gondel bei den Stützen kurz absackte, was vor allem deutsche Gäste mit einem kollektiven „Huuh“ kommentierten.

Als kleine Gondeln zum Standard wurden, wurde der Einstieg ins Skigebiet zum Fest: Die langen Schlangen waren Geschichte, jeder konnte sitzen, man konnte sich in Ruhe einschmieren, die Schnallen richten, entspannt ein- und aussteigen. Aber gib dem Mensch Optionen und er wird zickig. Denn der Luxus, sich nun aussuchen zu können, mit wem man seine kostbaren Liftminuten verbringt, kann zu Stoßzeiten nicht ausgelebt werden. Die strengen Liftwarte zwingen zusammen, was nicht zusammengehört: Snowboarder, jausnend, Skifahrer, gscheitelnd, Eltern, keppelnd, Kinder (klein), jammernd, Kinder (größer), kudernd, Jugendliche, egal was, laut, Paare, in allen Gemütszuständen.

Schon bei einer einzigen Gondelfahrt schaut man simultan in mehrere fremde Leben. Beim Aussteigen ist man froh über sein eigenes.

E-Mails an:friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2020)

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