EU-Sondertreffen

„Dann bringen wir den Verhandlungstisch in die USA und den Iran“

Außenminister Schallenberg beim Sondertreffen des EU-Außenministerrats in Brüssel.
Außenminister Schallenberg beim Sondertreffen des EU-Außenministerrats in Brüssel.(c) APA/BKA/ANDY WENZEL (ANDY WENZEL)
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Österreichs Außenminister Schallenberg bietet Vermittlungsinitiative in der Iran-Krise an.

Brüssel. Am Freitagvormittag nickt und schmunzelt Alexander Schallenberg formvollendet auf der Regierungsbank, als Bundeskanzler Sebastian Kurz seinen neuen Außenminister, den „erfahrenen Diplomaten“, im Plenum des Wiener Nationalrats vorstellt. Zwei Stunden später sitzt der 50-Jährige im Flieger nach Brüssel. Es ist seine erste Reise als Außenamtschef der türkis-grünen Regierung. Sie führt ihn zu einem Krisentreffen, das der Hohe EU-Repräsentant für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, kurzfristig einberufen hat. Es geht um Krieg und Frieden: Auf der Agenda steht der Iran, mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg als Ehrengast. Er bittet die EU um Fortsetzung der Anti-IS-Operation im Irak.

Haarscharf sind der Iran und die USA zuletzt an einer militärischen Auseinandersetzung vorbeigeschrammt. Erst der Angriff einer schiitischen, vom Iran gelenkten Miliz auf einen US-Stützpunkt im Irak, dann der amerikanische Vergeltungsschlag, auf den wiederum der Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad folgte. Daraufhin gab Präsident Donald Trump wütend grünes Licht für einen tödlichen Drohnenangriff auf den mythenumrankten General Qasem Soleimani, den Chef der Quds-Spezialeinheit der iranischen Revolutionsgarden. Das Regime in Teheran schwor Rache, die Welt hielt den Atem an.

Der Gegenschlag kam, doch er war kalibriert: Bei den iranischen Raketenangriffen auf zwei Basen im Irak kam kein einziger US-Soldat zu Schaden. Trump sah zunächst von einer militärischen Antwort ab. Die Eskalationsspirale war für einen Moment unterbrochen. Doch dann verdichteten sich die Indizien, dass ein ukrainisches Boeing-Passagierflugzeug nahe Teheran vermutlich versehentlich von Irans Luftabwehr vom Himmel geholt worden war. Wieder gingen Schockwellen um den Globus. Und während vor den Toren Europas ein neues Kriegsdrama drohte, sah die EU wie gelähmt zu.

Mit einem Brief im Gepäck

Jetzt wollen die europäischen Außenminister mit ihrem Treffen in Brüssel wenigstens ein Signal zur Deeskalation aussenden. Zu viel mehr als zu Appellen sind sie nicht fähig. Doch zumindest schweigen wollen sie nicht. Alexander Schallenberg hat auf seinem Flug nach Brüssel einen Brief im Gepäck. Er hat ihn schon am Donnerstag an Borrell, den neuen EU-Außenbeauftragten, geschickt. „Wenn wir die EU zu einem aktiven geopolitischen Akteur machen wollen, müssen wir über die rhetorischen Bemühungen hinausgehen“, heißt es darin.

Wenige Tage nach seinem Amtsantritt schlägt der Außenminister eine Pendeldiplomatie zwischen Teheran und Washington vor. „Wir haben versucht, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Vielleicht ist es jetzt Zeit, den Verhandlungstisch zu ihnen zu bringen“, schreibt Schallenberg. Er regt an, dass Borrell mit ein paar EU-Außenministern im Schlepptau in den Iran und in die USA reisen möge.

In Brüssel ventilieren die Marschik-Brüder die Initiative. Der eine, Alexander Marschik, ist Politischer Direktor des Außenamts, der andere, Nikolaus Marschik, Botschafter in Brüssel: Ziel ist es, die Vermittlungsinitiative mit wenigstens einem Satz in der gemeinsamen Erklärung des Außenministertreffens zu verankern. Borrell nimmt den Vorstoß dem Vernehmen nach positiv auf, auch der slowakische Außenminister, Miroslav Lajcák, und andere Chefdiplomaten kleinerer Länder. Doch wie reagieren die Großen? Vor allem: Was hält Frankreich davon? Informationen der „Presse“ zufolge hält sich die Begeisterung in Paris in Grenzen. Vor wenigen Monaten erst hat Präsident Emmanuel Macron probiert, ein iranisch-amerikanisches Spitzentreffen anzuregen. Er ist damals gescheitert. Will er nun Borrell den Vortritt lassen?
Am Ende wird in Brüssel eine vage Formulierung gefunden, auf die sich alle einigen konnten: Die EU-Mitgliedstaaten geben Borell „ein starkes Mandat für diplomatische Bemühungen“. Dem Vernehmen nach will Borrell nach Teheran und Bagdad fliegen.

Bekenntnis zum Atomabkommen

Schon beim Eingang in das EU-Ratsgebäude warb Schallenberg vor internationalen Journalisten für seine Vermittlungsinitiative. Doch schon fragen ihn erste Reporter, ob die EU nach dem Abschuss des Passagierflugzeugs bei Teheran nicht Sanktionen gegen den Iran verhängen müsste. Schallenberg geht nicht darauf ein. Zunächst gelte es, das tragische Unglück transparent zu untersuchen. Ähnlich äußert sich ein paar Minuten später der deutsche Außenminister, Heiko Maas, als hätten sie sich abgesprochen. Der Absturz des ukrainischen Flugzeugs müsse lückenlos aufgeklärt werden, sagt der deutsche Minister. Und natürlich geben beide ein Bekenntnis zum Atomabkommen ab, aus dem die USA ausgestiegen sind und an das sich nun auch der Iran nicht mehr gebunden fühlt. Diesem Bekenntnis schließen sich auch alle andere Staaten in der Sitzung an.

An diesem Tag rangiert in Brüssel auch ein zweiter Krisenherd auf der Agenda. „Libyen darf kein zweites Syrien werden“, sagt Maas, der am Wochenende mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Russlands Präsident, Wladimir Putin, reist. Es ist eine dieser bekannten rhetorischen Floskeln. In der Realität ziehen die EU-Mitgliedstaaten in Libyen nicht an einem Strang, sondern in verschiedene Richtungen. Aber für solche Fälle gibt es ja immer noch wohlfeile Appelle.

Das ist die Währung der Machtlosen: das folgenlose Wort. Und so fordert Luxemburgs Außenminister, Jean Asselborn, ein Ende der kriegerischen Nervosität in der Iran-Krise. Es widerspricht ihm niemand.

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