Kommentar

Wo sind bloß unsere Leut' geblieben?

Den Nationalpopulisten zerrinnen ihre Nationen zwischen den Fingern.

Unser Geld für unsere Leut' – die alte Maxime der FPÖ gilt nicht nur in Österreich als bewährtes Mittel, um einkommensschwächere Schichten an die Partei zu binden. Bis dato war stets das Geld die problematischere Hälfte dieser Formel – denn Wohltaten für die „Classes populaires“, wie es auf Französisch so elegant wie treffend heißt, sind zwar populär, aber alles andere als billig. Doch nun machen die Mitgliedstaaten am östlichen Rand der EU eine andere Erfahrung: Ihnen gehen ihre Leut' aus.

In den betroffenen Hauptstädten versucht man, die rasante Entvölkerung irgendwie aufzuhalten. Man bietet Kindergeld, Steuergutschriften, In-vitro-Fertilisationen auf Krankenschein – und als Begleitmusik Lobgesänge auf das Vaterland. Dass die Erfolge überschaubar bleiben, hat nicht nur mit dem wirtschaftlichen Gefälle zwischen West und Ost zu tun – das ohnehin immer kleiner wird –, sondern auch damit, dass sich die Retter der Nation ideologisch selbst im Weg stehen: Bewährte Rezepte gegen Geburtenschwäche – flächendeckende Kinderbetreuung, Gleichberechtigung am Arbeitsplatz – werden als widernatürliche Dekadenz der gottlosen EU diffamiert.

Und so zerrinnen den Nationalpopulisten ihre Nationen zwischen den Fingern. Wer keine Lust hat, sich im Alltag mit Bigotterie, Günstlingswirtschaft und Provinzialität auseinanderzusetzen, hat heute – im Gegensatz zu früher – die Wahl: Er kann sich für den Wandel engagieren. Oder dort hinziehen, wo dieser Wandel bereits stattgefunden hat.

michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2020)

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