Volx Margareten

Kurzer Prozess: „In der Strafkolonie“

Sören Kneidl machte Franz Kafkas strenge Erzählung zu einem barocken Gesamtkunstwerk. Die Hörspiel-Show ist auf jeden Fall ein Vergnügen.

Ein „Live-Hörspiel“ war auf der Kellerbühne des Volkstheaters im 5. Bezirk angesagt: „In der Strafkolonie“ nach Franz Kafka, das am Donnerstag im Volx Margareten Premiere hatte, wurde aber mehr: ein fetziges Konzert, eine kindgerechte Story, eine literarische Melange. Man kann fasziniert zusehen, wie dieses Hörspiel in einem Guss verwirklicht wird. Regisseur Sören Kneidl, der mit Michael Isenberg und Edwin Vanecek die Textfassung erstellte, spielt auch den Erzähler. Er zeigt sich erfindungsreich im Hervorbringen von Geräuschen und Tönen. Da bricht er zum Beispiel an entscheidender Stelle einen Zweig, schüttelt Wasserflaschen, watet in Tonbändern, raschelt mit Blättern und greift schließlich beherzt zur E-Gitarre.

Den Großteil des konzertanten Teils bestreiten jedoch flankierend zwei Musiker: Lukas Böck am Schlagzeug und Robin Gadermaier am Bass werken virtuos. Sie tragen schwarze Kapuzenjacken, zur gruftigen Atmosphäre trägt auch eine Nebelmaschine bei. Diese kafkaesken Gehilfen bereiten großes akustisches Vergnügen. Toll – 70 Minuten reine Energie. Die buntere Show zieht der Erzähler im Zentrum ab. Er übertreibt dabei aber auch. Das wird der ursprünglichen Erzählung nicht wirklich gerecht.

„In der Strafkolonie“ ist einer der wenigen Texte, die zu Kafkas Lebzeiten gedruckt wurden (1919). Auf 46 Seiten ist all der Schrecken der Moderne und des beginnenden 20. Jahrhunderts konzentriert. Ein Reisender erzählt von seinem Aufenthalt in einer Strafkolonie. Dort demonstriert ihm ein Offizier, wie Angeklagte (es gibt keinen üblichen Prozess, das Urteil steht immer schon fest, es kann nicht beeinsprucht werden) durch eine ausgeklügelte Maschine binnen zwölf Stunden zu Tode kommen. Die Grausamkeit steckt vor allem in der technischen Beschreibung der Folter, im Engagement des Henkers, dem Zögern des Reisenden. Die ihm vorgeführte Exekution geht dann anders aus als gedacht.
Kneidl gibt sich allerdings mit Kafkas Lakonie, mit der reduzierten Form, nicht zufrieden. Er reichert den Stoff an, macht den Erzähler zu Josef K. aus „Der Process“ (tatsächlich gibt es eine Verbindung: Kafka unterbrach die Arbeit an seinem Romanfragment, um im Oktober 1914, also schon im Ersten Weltkrieg, die Erzählung zu schreiben). Im Hörspiel wird K. von namenlosen Richtern dazu verurteilt, zur Strafkolonie zu fahren. Das ist viel zu barock.

Grusel wie auf der Schatzinsel

Kneidl spielt nicht nur den Erzähler, sondern erfindet auch einen Kapitän, der den Reisenden auf die Insel bringt. Da geht mit dem Regisseur ganz jugendlich der Spieltrieb durch. Man könnte den Plot so beschreiben: Tom Turbo strandet mit Captain Hook und erlebt auf der Schatzinsel Gruseliges. Die heftig beklatschte Inszenierung ist fantasievoll gemacht, gespielt wird mit Lust. Aber fürchten muss man sich vor dieser Variation auf Kafkas apokalyptische Urangst nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2020)

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