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Armutsbekämpfung und Mindestlohn: Wie sozial ist Türkis-Grün?

Sozialrechtsexperte Walter-Josef Pfeil.
Sozialrechtsexperte Walter-Josef Pfeil.(c) Privat
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Eher lau? Sozialrechtsexperte Walter-Josef Pfeil findet die neue Sozialpolitik „nicht sonderlich ambitioniert“.

Fragt man Wissenschaftler, wie weit links die türkis-grüne Sozialpolitik einzuordnen ist, fällt die Antwort schwer: „Links oder rechts – das ist keine wissenschaftliche Wertung“, sagt Walter-Josef Pfeil, Arbeits- und Sozialrechtler an der Uni Salzburg. Und gibt dann doch eine ab: „Sonderlich ambitioniert ist der sozialpolitische Teil im Regierungsprogramm nicht.“ Warum? Ein Überblick:

Sozialhilfe: Dem Sozialhilfe-Experten fällt natürlich zunächst auf, dass sich im Text „kein Wort über die Sozialhilfe findet“. Doch ist es nicht logisch, diese ganz den Ländern zu überlassen? Nachdem der Verfassungsgerichtshof Teile des neuen Gesetzes aufgehoben hat? Jein, sagt Pfeil. „Es stimmt ja nicht, dass die Länder nun tun könnten, was sie wollen. Der Großteil des Sozialhilfegrundsatzgesetzes hat vor dem VfGH gehalten, nur die Spielräume sind größer als gedacht. Nach oben wie nach unten“, sagt Pfeil. Der Experte befürchtet, dass künftig die länderweisen Regelungen noch stärker auseinanderklaffen werden. Was in einem Neun-Millionen-Einwohner-Staat „unsinnig“ sei. Zwar würden sich einige Bundesländer absprechen, etwa im Westen, wo es durchwegs grüne Soziallandesräte gibt. Dass sich alle neun Länder einigen, glaubt Pfeil aber nicht. Woran er jedoch auch nicht glaubt: dass die Unterschiede zu einer Binnen-Armutsmigration führen. Da seien andere Faktoren (z. B. wo lebt welche Community) relevanter. Auch der immer wieder prophezeite Zustrom nach Wien sei unwahrscheinlich, weil „entgegen immer wiederkehrenden Behauptungen nicht Wien, sondern Tirol und Vorarlberg höhere Leistungen ausbezahlen“.

Übrigens: Auch wenn der Pakt inhaltlich zur Sozialhilfe schweigt, erwähnt er doch organisatorische Maßnahmen. Sie betreffen zunächst die kleinere Gruppe der Sozialhilfebezieher im Regelpensionsalter und der Bezieher mit Behinderung. Diese sollen von der Pensionsversicherungsanstalt statt vom Sozialamt betreut werden. Es sei sinnvoll, Menschen, die nicht erwerbsfähig sind, an einer Stelle zu „bündeln“, sagt Pfeil. Jedoch: Was heißt „betreuen“? „Betreuung meint normalerweise mehr als nur oder sogar gerade nicht die Auszahlung der Sozialhilfe.“ Gebündelt wird auch die Gruppe der Erwerbsfähigen. Das AMS soll für alle zuständig sein und die Sozialhilfe auszahlen. Pfeil findet das klug. Es erschwere Missbrauch (z. B. dass jemand nach Streichung des Arbeitslosengeldes Sozialhilfe beantragt) und treffe den Kern der Sache: „Es geht ja darum, Leute in Beschäftigung zu bringen. Das AMS hat ein vorrangiges Interesse, zunächst die eigenen Leute, also jene, die Arbeitslosengeld beziehen, zu vermitteln.“ Dieser Interessenkonflikt würde durch einen „One-Stop-Shop“ AMS aufgelöst. Ob die Länder zustimmen, dass ihre Mittel künftig über Bundesstellen (PVA, AMS) ausgezahlt werden, sei aber fraglich, sagt Pfeil.

Notstandshilfe: Denkt Türkis-Grün an eine Abschaffung der Notstandshilfe? Das steht so nicht im Pakt. Der AMS-One-Stop-Shop könnte aber ein Hinweis sein, sagt Pfeil. In der unter Türkis-Blau angedachten Form hält er die Abschaffung aber „weder für sozial noch für ökonomisch sinnvoll, weil das zu einer noch schärferen Trennung zwischen denen, die leichter in Beschäftigung kommen, und den anderen, die noch weiter abgehängt werden, führt“.

Zumutbarkeitsgrenze: Die Ausnahmebestimmung für Alleinerziehende fällt. Diese müssen nun 20 Stunden statt wie bisher 16 Stunden pro Woche dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, um einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung zu haben. Eine unsoziale Neuerung? Nein, sagt Pfeil: „De facto gibt es kaum Teilzeitjobs mit nur 16 Stunden.“

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