Der ökonomische Blick

Was taugen die Klimaziele im neuen Regierungsprogramm?

(c) Peter Kufner
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Jeden Montag präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ in Kooperation mit der „Presse“ aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen. Heute: Stefan Schleicher über Klimaneutralität bis 2040

Klimaneutralität bis 2040 lautet das von internationalen Medien aufmerksam wahrgenommene Ziel im Programm der neuen österreichischen Bundesregierung. Diese Ansage ist gleichsam ein Echo auf eine im Dezember von der neuen EU-Kommission vorgeschlagene ähnliche Zielsetzung für die Union, jedoch für 2050. Von den Mitgliedsstaaten haben bisher nur Finnland und Schweden sich ein früheres Erreichen dieser Ziellinie verordnet.

Der zusätzlich formulierte Anspruch, in Europa zu einem Vorreiter im Klimaschutz zu werden, stößt auf Skepsis, weil sich Österreich in einem Ranking der Mitgliedsstaaten unter jenen fünf Nachzüglern befindet, die gegenüber 1990 höhere Emissionen von Treibhausgasen ausweisen.

Nicht immer scheint verstanden zu werden, was mit Klimaneutralität bis 2040 wirklich gemeint ist, deshalb eine Erinnerung: Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten soll ein Gleichgewicht zwischen den Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen (wie der Nutzung von fossiler Energie) und dem Abbau solcher Gase durch Senken (wie Böden, Wälder und Ozeane) hergestellt werden.

Jeden Montag gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Ernüchternde Zwischenbilanz

Nicht allen Verhandlungspartnern war vielleicht bewusst, was dieses Klimaziel wirklich bedeutet: Ab sofort müssten Jahr für Jahr die Emissionen um gut fünf Prozent des jetzigen Volumens verringert werden. Bis 2040 sollte es nicht nur keine Kohle oder Erdölprodukte in den Haushalten geben, auch Erdgas wäre nur noch in Restmengen sichtbar. Zapfsäulen für Benzin und Diesel wären längst abgebaut.

Wie die energie- und emissionsintensive Industrie bei Stahl, Zement und Chemiegrundstoffen, die für rund ein Drittel der jetzigen Emissionen verantwortlich sind, zurechtkommt, kann nur sehr vage argumentiert werden.

Eine erste Zwischenbilanz über ein solches Klimaziel ist deshalb ernüchternd. Nach jetzigem Wissensstand und aus der Beobachtung politischer Entscheidungsabläufe ist die Erreichung eines solchen Ziels schwer vorstellbar. Vergleicht man dann noch die im Regierungsprogramm für eine solche Zielerreichung vorgesehenen Aktivitäten, wird Klimaneutralität bis 2040 zu einer Mission Impossible.

Diese enttäuschende Diagnose muss jedoch nicht bedeuten, dass diese zentrale Zielsetzung im Regierungsprogramm als Makulatur zu entsorgen ist. Gerade dieses offensichtlich illusionäre Ziel ist ein guter Start für ein Nachdenken, wie Orientierungen für die Praxis mit politischen Zielen verträglich gemacht werden können. Dazu einige Anstöße für weitere Diskussionen zum Regierungsprogramm.

? Erstens: Die Geophysik sagt uns, dass solche ambitionierten Ziele für eine Vermeidung von irreversiblen Klimaänderungen entsprechend dem Pariser Klimavertrag notwendig sind. Daraus resultiert, dass beispielsweise für Österreich nur mehr ein Emissionsbudget verfügbar ist, das beim derzeitigen Emissionsvolumen zwischen zwölf und 18 Jahre reicht. Eine solche ergänzende Aussage fehlt im Regierungsprogramm.

? Zweitens: Die Politik soll sich nicht scheuen, darauf aufmerksam zu machen, dass derzeit mit unserem Wissen und unseren Ambitionen bei Gebietskörperschaften, Unternehmungen und Privaten das Ziel von Klimaneutralität weder 2040 noch 2050 erreichbar ist. Ursula von der Leyen hat bei der Präsentation des Klimaziels der Kommission von einem „Europe's ,man on the moon‘ moment“ gesprochen – in Erinnerung an das von Präsident Kennedy ausgerufene Programm für eine Mondlandung in den 1960er-Jahren.

Auch dazu eine Erinnerung: Ohne das ambitionierte Raumfahrtprogramm der USA hätten wir heute nicht die vielen Technologien der Digitalisierung, die den globalen Wohlstand wohl beachtlich verbessert haben.

? Drittens: Europa insgesamt und Österreich im Besonderen haben einen dringenden Bedarf, sich viel intensiver mit jenen Breakthrough-Technologien auseinanderzusetzen, bei denen sich heute die USA mit China einen Wettbewerb über die Führungsrolle liefern: künstliche Intelligenz, Roboterisierung und radikale Veränderungen bei der Produktion von Gütern, beispielsweise durch Additive Manufacturing.

Neue Technologieschübe

Diese Technologien werden auch ohne Blick auf die Klimapolitik unseren Lebens- und Wirtschaftsstil schon in den nächsten Jahren spürbar verändern. Arbeiten etwa könnte immer weniger an einen bestimmten Arbeitsort gebunden sein; Sachgüter könnten verstärkt wieder lokal bereitgestellt werden; eine nächste Welle von Informationstechnologien könnte den Zugang zu Personen, Gütern und Orten mit viel weniger Verkehrsbewegungen ermöglichen.

? Viertens: Gerade bei diesen in jedem Fall sich entfaltenden radikalen Veränderungen stoppt das Regierungsprogramm zu früh. Angesprochen wird wohl ein Green Deal für Österreichs Wirtschaft, der eine Chiffre für eine auf den Horizont 2040 und 2050 ausgerichtete Innovationsstrategie sein könnte, mit der die Klimaziele gleichsam im Windschatten der Ziele um Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand erreicht werden könnten.

Green Deal als Narrativ

Ein solcher Green Deal hätte ein durchgehendes Narrativ für das gesamte Regierungsprogramm werden können. Dass dieses Kleinod im Regierungsprogramm noch kaum entdeckt wurde, liegt wohl an seiner eher kargen Präsentation.

? Fünftens: Die Architekten des Regierungsprogramms müssen sich deshalb dem Vorwurf aussetzen, ihre politische Zukunft zu sehr durch den Rückspiegel als durch eine Orientierung an 2040 und 2050 zu gestalten. Illusionär sind deshalb ganz andere Ziele im Regierungsprogramm: Eine vorgezogene Fixierung auf 100Prozent Elektrizität bilanziell aus Erneuerbaren (weil die emissionsmindernde Verbindung mit thermischen Prozessen über Cogeneration und Wärmepumpen übersehen wird, solange Wärme aus Fossilen bereitgestellt wird); die Festlegung von Renovierungsraten für Gebäude (weil deren Einbindung in Energienetze zur Rezyklierung von Wärme nicht bedacht wird); oder gar eine Million Dächer für Fotovoltaik (auch wenn diese Zahl durch Installationen auf Freiflächen kleiner wird).

Vielleicht ermuntert deshalb gerade das scheinbar unverständliche Ziel von Klimaneutralität bis 2040 den Wechsel zu einem Mindset, das auch den anderen Kapiteln des Regierungsprogramms gut tun könnte und drei tragende Säulen hätte: Erstens zielorientierte Innovation, die noch viel zu wenig verstanden wird; zweitens weitblickende Integration, die grundsätzlich immer das Gesamtsystem im Auge behält und somit die Tunnelperspektive vieler Vorschläge für Klimastrategien vermeidet; drittens neue Business-Modelle auch für die Tätigkeit des Staates, die von der Rolle des Enablers bis zum Redesign der öffentlichen Budgets durch eine CO2-Bepreisung und einer innovationsfördernden Mittelverwendung reichen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Stefan Schleicher (*1943 in Knittelfeld) ist Professor am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität Graz und Konsulent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind zukunftsfähige Wirtschaftsstrukturen, vor allem in den Bereichen Energie und Klima.

Stefan Schleicher
Stefan Schleicher

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2020)

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