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Jobangst im Autoland: 410.000 Stellen in Gefahr?

Production line of Volkswagen e-Golf in Dresden
Production line of Volkswagen e-Golf in Dresden(c) REUTERS (Matthias Rietschel)
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Ein beratendes Gremium der Bundesregierung wühlt mit einem „Extremszenario“ die Autobranche auf. Das mag zwar ein allzu düsterer Blick in die Zukunft sein. Doch es gibt noch eine andere schlechte Nachricht.

Berlin. Der deutsche Finanzminister schwimmt im Geld. Und zwar nach wie vor. Im abgelaufenen Jahr soll der Bund trotz eingetrübter Konjunktur einen Überschuss im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich erzielt haben, was bei Österreichs großem Nachbarn nun eine Debatte über Steuersenkungen entfachen wird.

Die sprudelnden Einnahmen des Finanzministers verstellen aber den Blick darauf, dass der wichtigste Zweig der Deutschland AG arg schwächelt: Die Automobilbranche steckt inmitten eines epochalen Strukturwandels, der schon jetzt die Konjunktur belastet und mittelfristig jede Menge Jobs kosten könnte. Letzteres geht aus einem 44-seitigen Zwischenbericht hervor, den ein von der Bundesregierung eingesetztes Beratergremium aus Sozialpartnern, Forschern und Branchenvertretern nun vorgelegt hat. Diese sogenannte „Kommission Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ skizziert ein „Extremszenario“, wonach in der Gesamtwirtschaft bis zum Ende des Jahrzehnts 410.000 Jobs durch den Umstieg auf Elektromobilität gefährdet sind, davon allein 240.000 im Fahrzeugbau.

Die düstere Zukunftsaussicht stützt sich auf die Annahme, dass zum Erreichen der Klimaziele 2030 zehn Millionen E-Autos auf den deutschen Straßen unterwegs sind. Das klingt zwar sehr ambitioniert, deckt sich aber mit Zahlen der Bundesregierung, die sieben bis zehn Millionen E-Autos bis dahin für nötig erachtet. Weiters geht das Szenario davon aus, dass Deutschland seinen Rückstand bei der Fertigung von E-Autos nicht aufholt, also „auf mehr Importe“ angewiesen ist, und zugleich die Automatisierung rasant voranschreitet, jedenfalls viel schneller als bei konventionellen Motoren.

Der mächtige Verband der Automobilindustrie VDA hält die Zahlen für maßlos übertrieben. Von einem „unrealistischen Extremszenario“ war am Montag die Rede.

Weniger Teile im Elektromotor

In einer zweiten, weniger umstrittenen Untersuchung des Beratergremiums wurde beleuchtet, wie sich ein Anteil von 30 Prozent reiner Elektrofahrzeuge auf die Arbeitsplätze in der Antriebsfertigung auswirken würde. Demnach könnten nur in diesem Bereich 75.000 bis 88.000 Arbeitsplätze wegfallen, der Löwenanteil in der Produktion. Die Zahlen decken sich übrigens mit Schätzungen der Auto-Lobbyisten des VDA. Ein Grund liegt darin, dass im Elektromotor deutlich weniger Teile verbaut sind.

Das Zwischenfazit der Kommission liest sich jedenfalls bitter: „In keinem Fall werden die Automobilhersteller weiterhin im selben Maße für eine solche Wertschöpfung und Beschäftigung entlang der Zuliefererketten sorgen können, wie es heute der Fall ist.“ Das trifft dann auch das Zuliefererland Österreich.

Schon 2019 hat die Schwäche des Automobilsektors den Anstieg der deutschen Wirtschaftsleistung um 0,75 Prozent gedrückt, wie das ifo-Institut am Montag schätzte. Die Produktion schrumpfte um 8,9 Prozent. Inzwischen melden laut ifo-Umfrage 14 Prozent der Automobilfirmen Kurzarbeit. Mehrere Experten gehen aber davon aus, dass die Talsohle für die Branche 2020 erreicht ist und es 2021 wieder zwischenzeitlich bergauf geht.

Die Nachfrage nach deutschen Automarken ist übrigens auch 2019 gestiegen. Sie wurde nur nicht aus der inländischen Produktion bedient. Ein Grund könnte die „Umrüstung deutscher Standorte auf die Herstellung von Elektroautos“ sein, vermutet ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „In der Übergangsphase fällt das Angebot an neu produzierten Pkw in Deutschland weg.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2020)

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