Erfahrungen

Rassismus im Alltag: Sechs Betroffene erzählen von ihren Erlebnissen

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Ob Mediziner, Universitätsdozenten, Fernsehmoderatoren oder Politiker – vor rassistischen Äußerungen und Übergriffen im Alltag ist niemand mit Migrationshintergrund gefeit. Unabhängig davon, wie erfolgreich oder wie gut integriert die Menschen sind.

„Seid nicht so laut, ihr seid nur Gast in diesem Land“

(c) Privat

Ümit Mares-Altinok
Migrationsmanagement (Wurzeln in de
r Türkei)

Obwohl ich in Wien geboren und aufgewachsen bin, gehören rassistische Übergriffe leider von klein auf zu meinem Alltag. Als Teenager fuhr ich einmal mit meiner Cousine in der U-Bahn, wir unterhielten uns auf Türkisch und blödelten ein wenig herum. Bis mir ein älterer Herr auf die Schulter klopfte und meinte: „Seid nicht so laut, ihr seid nur Gast in diesem Land!“

Ein Schulkollege, ein bekennender Burschenschafter, erzählte mir einen „Witz“, er fragte mich: „Ümit, was ist denn der Unterschied zwischen Türken und Juden?“ Ich wusste es natürlich nicht. Mit einem schallenden Gelächter sagte er: „Die Juden haben es schon hinter sich, den Türken steht's noch bevor!“ Mit 18 fuhr ich mit der letzten U6 nach Hause, und als ich mit der Rolltreppe hinauffuhr, sah ich oben schon zwei Skinheads stehen. Mir wurde ganz mulmig im Bauch, ich senkte meinen Blick und dachte mir nur: „Bitte lasst mich in Ruhe!“

Als ich von der Rolltreppe schnell abbiegen und nach Hause laufen wollte, stand schon einer von ihnen vor mir und fragte mich: „Warum hast du uns so blöd angeschaut, du Kanake?“ Plötzlich packte der Zweite von hinten meine Arme, und der andere vor mir schlug zu. Ich blutete aus Mund und Nase und schrie laut um Hilfe, weil ich einige Passanten in unserer Nähe sah, aber niemand half mir.

Als sie endlich von mir abließen, lag ich schon auf dem Boden, und alles tat mir weh. Mit blutigem Gesicht und weinend lief ich nach Hause. Ich war so wütend, weil mir keiner half, keiner die Polizei verständigt hatte. Zu Hause angekommen, war ich froh darüber, dass meine Eltern schon schliefen. Ich schlich ins Bad, entfernte die Blutspuren und legte mich hin. Am nächsten Morgen haben meine Eltern natürlich bemerkt, dass mein Gesicht ziemlich angeschwollen war. Ich erzählte ihnen, dass ich hingefallen war, da ich Angst hatte, dass sie mich nie wieder fortgehen ließen, wenn ich ihnen die Wahrheit gesagt hätte.

„Das ist typisch für die Faulheit der Polen“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)

Maciej Palucki
Universitätsassistent, (Wurzeln in Polen)

Als Kind mit Migrationsgeschichte – ich bin 1980 mit meinen Eltern und meiner Schwester nach Österreich eingewandert – bin ich vielfach mit den Themen Diskriminierung, Stereotypisierung und Stigmatisierung in Berührung gekommen. So gab mir mein Deutschlehrer unmittelbar nach der Matura mit, dass ich niemals ein Deutschniveau eines Österreichers erreichen würde. Dass eine solch gravierende Diskriminierung Jahre später an einer Universität in Wien – ja, ich habe mich nicht an die Empfehlung der Lehrer und Lehrerinnen gehalten und habe studiert – wieder erleben würde, hätte ich damals nicht geglaubt.

Konkret ging es um ein Gruppenprojekt mit einem Marketingprofessor. Wir hatten die Aufgabe, im Zuge eines Seminars für ein Magazin Werbeanzeigen zu verkaufen. Der Professor fragte also in die Runde, wie viele verkaufte Anzeigen wir denn für uns für realistisch hielten. Die Antworten bewegten sich zwischen fünf und zehn. Mir erschien das unrealistisch, da wir ja keine Verkaufsprofis waren. So antwortete ich auf die Frage, wie viele Anzeigen ich verkaufen werde mit: „Eine“. Der Professor sah mich mit Entsetzen an und entgegnete mir: „Das ist typisch für die Faulheit der kommunistisch geprägten Polen.“ Nun gab es damals noch kein Twitter, um diese niederträchtig stereotype Aussage im Internet zu thematisieren.

Dass ein gebildeter und international in seiner wissenschaftlichen Community sehr geschätzter Wissenschaftler offenbar so eine Weltanschauung vertritt, enttäuschte mich – noch mehr aber die Tatsache, dass keiner aus meiner Gruppe reagiert hat. Letzten Endes wurde nur eine einzige Werbeanzeige von meiner Gruppe verkauft: und zwar von mir. Das weitaus größere Learning aber war, dass uns das „Othering“, also der Prozess der Konstruktion von Andersartigkeit und damit auch die Hierarchisierung von Menschengruppen – etwa nach ethnischer Herkunft, sexueller Identität oder Religion –, überall begegnet.

„Ausländer müssen sich mehr bemühen“

(c) Stanislav Kogiku

Naghme Kamaleyan-Schmied
Allgemeinmedizinerin (Wurzeln im Iran)

Einmal kam ein dauerarbeitsloser Patient in meine Ordination und schüttete mir lang sein Herz aus – danach begann er, über Ausländer zu schimpfen. Als ich ihn etwas verdutzt ansah, wurde ihm die unangenehme Situation klar und er meinte: „Ach ja, Sie sind ja auch mit einem Scheißausländer verheiratet.“ Ich sagte daraufhin: „Nein, ich bin die Ausländerin, mein Mann heißt Schmied.“

Ein anderes Mal saß eine ältere Patientin in meiner Praxis, die sehr weit weg von mir wohnt und nicht mehr gut gehen kann. Ich fragte sie natürlich, warum sie denn den langen Weg auf sich nehme, um zu mir zu kommen, in der Nähe ihrer Wohnung gebe es doch sicher auch praktische Ärzte. Sie antwortete dann allen Ernstes: „Ich gehe immer zu Ausländern, die müssen sich mehr bemühen.“

„Haben S' ka Österreicherin für diesen Job gefunden?"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)

Eser Akbaba
Journalistin und Moderatorin, (Wurzeln in der Türkei)

Am 27. Oktober 2009 war es endlich so weit – meine erste Sendung. In halb zerrissenen Jeans und einem schwarzen Sakko stellte ich mich vor die Kamera. Ein Outfit, das im Nachhinein für Gesprächsstoff sorgte. Das war mir davor natürlich nicht klar: Ich wollte modern und stylish rüberkommen, und so war es auch.

Allerdings gingen darauf einige Zuschriften und Anrufe beim ORF ein – von Menschen, die sich beschwerten, dass ich zerrissene Jeans trug. Und sie fragten, warum überhaupt jemand moderieren darf, der Eser Akbaba heißt.

„Haben S' ka Österreicherin für diesen Job gefunden?“, „Die hat so viele Haare und einen komischen Namen“, „Wer weiß, durch wen die den Job bekommen hat?“, waren die Reaktionen. Dabei wurde ich Moderatorin, weil man „andere Gesichter“ vor die Kamera holen wollte.

„Ist das eine Aufenthaltskarte?“

(c) Mirjam Reither

Berivan Aslan
Juristin, Ex-Nationalrätin, (Wurzeln in der Türkei)

Tirol, 2015, beim Notar: Er kommt ins Wartezimmer und fragt mich ohne zu grüßen: „Woher kommen Sie?“ Ich antworte im Tiroler Dialekt: „Guten Morgen, aus Innschbruck-Land, Telfs.“ Er schaut mich verächtlich an, sagt kein Wort und geht zurück in sein Büro. Nach zehn Minuten kommt er zurück und sagt in gespielt gebrochenem Deutsch, dass im Reisepass mein akademischer Titel nicht angeführt sei, und fragt, ob ich einen anderen Ausweis hätte, auf dem der Titel angeführt ist.

Ich hatte nur einen Ausweis dabei, und das war mein Parlamentsausweis. Er nimmt also den Ausweis, schaut ihn an und sagt: „Ist das eine Aufenthaltskarte?“ Ich daraufhin: „Wie Sie den Unterlagen entnehmen können, bin ich österreichische Staatsbürgerin. Logischerweise können nur österreichische Staatsbürger als Abgeordnete gewählt werden.“

„Menschen beginnen plötzlich, die Artikel wegzulassen“

(c) Privat

Mehmed Alajbeg
Eventmanager und Politiker (Wurzeln in Bosnien)

Lange Zeit konnte ich nicht unterscheiden, was ein vermeintlicher Spaß in geselliger Runde und was eigentlich Rassismus ist. Als Kriegsflüchtling aus Bosnien habe ich schon sehr früh Sachen gehört, die ich nicht richtig einordnen konnte. Was meinte diese Person? In welchem Zusammenhang hat sie das gesagt? Als Kind sagte einmal ein Pfarrer zu mir, ich hätte arische Züge, weil ich blond war und blaue Augen hatte. Ich habe diese Aussage damals nicht wirklich verstanden. Als Erwachsener hinterfragt man Dinge natürlich genauer.

Mein jüngstes Erlebnis mit Alltagsrassismus hatte ich erst vor einigen Wochen in Verbindung mit meinem Hausbau. Ein Mitarbeiter einer Behörde kam auf meine Baustelle und sah mich in einem typischen Baustellengewand. Ich hatte gerade den Kanal gegraben und war entsprechend schmutzig. Er musterte mich und fragte nach dem Bauherrn. Ich antworte ihm, dass ich das sei.

Er schaute noch mal auf seine Unterlagen und fragte mich in absichtlich gebrochenem Deutsch, ob ich den Grundstücksbesitzer rufen könne. Ich antwortete ihm zum Spaß ebenfalls in gebrochenen Deutsch, dass ich das sei. Nachdem er mitbekommen hatte, dass er ins Fettnäpfchen getreten war, sagte er mir, dass er es nicht böse gemeint habe. Schließlich sei das eine teure Gegend, und als er meinen Vor- und Nachnamen gelesen hatte, war er verwundert.

Übrigens: Hole ich Auskünfte zum Hausbau telefonisch ein, wird manchmal sehr langsam und auffällig deutlich gesprochen. Ich kann meinen Akzent nun einmal nicht vollständig ausblenden. Wenn Menschen das hören, beginnen sie, Artikel wegzulassen und sehr oft „verstehen Sie das?“ am Ende eines Satzes zu sagen. Mittlerweile reagiere ich aber anders als in meiner Kindheit.

Ich mache Menschen darauf aufmerksam, wenn sie etwas sagen, was mich kränkt. Im ersten Moment ist es natürlich schwer für mich und für die andere Person, für die Zukunft erspart es aber allen unangenehme Situationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2020)

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