KOALITION - ANGELOBUNG DER REGIERUNG KURZ II
Debatte

Zwölf Leser, zwölf Meinungen zur neuen Regierung

Türkis-Grün und das Regierungsprogramm sorgen für viel Diskussionsstoff, auch bei den „Presse"-Lesern. Wir präsentieren eine Auswahl an Leserbriefen.

Beide Regierungsparteien gehen auf Kuschelkurs und präsentieren ein Programm mit großem Umsetzungsspielraum und vielen Leerformeln. Die einzigen harten Fakten der Klimapolitik sind neue Abgaben, „ökosoziales Reformprogramm“ genannt, die vermutlich in den Tiefen des Budgets versickern werden, ohne zweckgebundenen Investitionen zu dienen.
Das Thema Migration ist voll von Stehsätzen, die sich selbst relativieren und dann so klingen: „Eine konsequente Linie gegen illegale Migration“ mit „Rückstellung in Drittstaaten, soweit sicher“ und geplante „Rückstellungszentren für freiwillige Rückkehrer mit Rückführung, wo notwendig“. Es gibt keinen Multiplikatorprozess für wichtige Schritte, sondern mehr gegenseitige Blockade in Form fauler Kompromisse.
Mag. Martin Behrens, 1230 Wien

Zu charmant?

Die Berichterstattung in vielen Medien – leider auch der „Presse“ – bezüglich der Regierungsbildung ist nur mehr als Propaganda für eine türkis-grüne Regierung zu bewerten. Fast nur Kommentare und Berichte, die diese Parteienkonstellation als die Lösung für Österreich bewerben. Gerade von der „Presse“ hätte ich mir kritische und seriöse Artikel erwartet, die von kühler Neutralität geprägt sind. Der Grund für diesen Medienhype dürfte wohl in der Beliebtheit der Grünen bei vielen Journalisten liegen. Wenn es um ihre linke Lieblingspartei geht, vergessen viele die Grundsätze eines seriösen Journalismus. Ich würde mir wünschen, dass „Die Presse“ ihre Hofberichterstattung aufgibt und zu einer kritischen Berichterstattung zurückkehrt.
Armin Pillhofer, 1140 Wien

Eine türkis-grüne Regierung wird von vielen als charmant, sogar als wegweisend für Europa beurteilt. Es scheint ja plausibel zu sein, wenn sich die jeweilige Partei auf ihre Kernthemen konzentriert, ihre Positionen durchsetzt, und im Umkehrschluss das auch beim Regierungspartner toleriert, selbst wenn seine den je eigenen Schwerpunkten konträr entgegenlaufen. Insofern könnte die Regierungsarbeit funktionieren.
Trotzdem stehen beide Parteien vor einem Dilemma. Um die eigenen Wähler nicht zu vergrämen, wird jede versuchen (müssen), bei Kernthemen so wenig wie möglich Zugeständnisse an den Koalitionspartner zu machen.
Das wirkliche Problem wird jedoch bei der nächsten Wahl auf beide Parteien zukommen. Selbst wenn es gelungen ist, die je eigenen Standpunkte ohne Abstriche im Regierungsprogramm umzusetzen, bleibt die Frage, ob die damit verbundenen „Kosten“ für die jeweiligen Wähler von Türkis bzw. den Grünen nicht zu hoch gewesen sind. Kosten, verstanden als jene programmatischen Schwerpunkte einer Partei, bei denen die Wähler der anderen Partei schlichtweg andere Lösungen sehen wollen. Wenn dies der Fall sein sollte, werden beide Parteien einige/viele (?) Wähler verlieren, und zwar nicht nur unter jenen, die sie von anderen Parteien bei der letzten Wahl gewonnen haben.
Dieser Umstand allein könnte zu einem Erstarken von SPÖ und FPÖ führen.
Helmut Eder, 2340 Mödling

Wahlzuckerl

Wifo-Chef Badelt argumentiert, die ersatzlose Rücknahme der im Wahlkampf beschlossenen abschlagsfreien Frühpension sei „problematisch, weil es um die Verlässlichkeit der Politik geht“. Dasselbe Argument lässt sich allerdings ebenso gut für die Abschaffung dieser Maßnahme einsetzen. Es sollte zum Grundkonsens der mündigen Bevölkerung und eben auch der Politik werden, dass Beschlüsse kurz vor Wahlen, die ohne Rücksicht auf langfristige Kosten und nur mit dem Blick auf – vermeintliche – Stimmengewinne getätigt werden, nach den Wahlen nochmals bewertet und ggf. wieder annulliert werden sollten. Sonst bleibt als „Verlässlichkeit“ einzig der stete Drang zu immer höheren Ausgaben, was die Politikverdrossenheit der Wähler noch drastisch verstärken dürfte.
DI Gerhard Radatz, 1090 Wien

Neue Energiepolitik

Während vieles in der „neuen Energiepolitik“ auf die lange Bank geschoben wird, greift die neue Regierung dort durch, wo sie die Schwächsten trifft. Das Aus für Ölheizungen betrifft immerhin mehr als 600.000 Haushalte. Das ist, wie Matthias Auer schreibt, schnell und radikal! Wer von diesen Haushalten – und es dürften viele sein – nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, steht auf der Straße. Die Zuschüsse, bis dato, zu den Neu- und Umbauten sind eher eine Provokation. Hatten nicht Sebastian Kurz und die Seinen den Bürgerinnen und Bürgern zugesichert, dass es zu keinen Härtefällen kommen wird? Dass alles finanziell ausgeglichen werden soll?
Rudolf Prill, 9071 Köttmannsdorf

Ich habe eine Vision, z. B. für Wien: Man stelle sich die vielen Wohnhäuser vor, und unter jedem zweiten Fenster hängen die Wärmepumpen! Schaut fantastisch aus! Denn in den vielen Wohnungen werden dann Durchlauferhitzer und Gasthermen nicht mehr verwendet werden können. Bravo, das nenne ich vorausschauende Politik, zumal die Wärmepumpen dann mit Strom betrieben werden, den wir z. B. aus dem Osten (Kohlekraftwerke) und Westen (AKW) importieren. Super! Österreich hat kein CO2-Problem!!
Ich bin nicht gegen alternative Energie, betreibe seit 26 Jahren eine Solaranlage für das Warmwasser und habe die Anlage 2019 durch eine neue ersetzt. Also bin ich fast schon ein „Grüner“. Ich war damals überzeugt, und es war gut so, aber: Zwei Tage keine Sonne – und ich bin froh, dass ich mit Gas heizen kann.
Jetzt ist alles hysterisch, es gibt keine Ratio mehr, egal ob Autoverkehr, Heizen, Fliegen, Essen etc. Man soll auf alles Mögliche umsteigen oder ändern, aber die Grundlagen sind nicht vorhanden.
Walter Gattringer, 1130 Wien

Jammern und Nörgeln

Zu den Reaktionen der Opposition auf das Regierungsprogramm
Mir gehen das ständige Jammern, Nörgeln und vor allem das dahinterliegende Sich-Bemitleiden so etwas von gegen den Strich.
Die politische Kommunikation scheint nur noch aus Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse zu bestehen. Am runden Tisch fanden auch die sonst von mir ob ihrer aktiv-positiven Oppositionsarbeit so geschätzten Neos keine anerkennenswerten Punkte im neuen Regierungsübereinkommen. Das kann es aber doch wohl – bei aller und sehr berechtigter Kritik an manchen Punkten – nicht wirklich sein. FPÖ, SPÖ und leider auch Neos scheinen sich mittlerweile zumindest auf den ersten Blick darauf zu reduzieren, Politik sich nur zwischen diesen Polen abspielen zu lassen. Die FPÖ aus Wut, die SPÖ aus Selbstmitleid, die Neos aus Enttäuschung, nicht miteingebunden zu sein? So stelle zumindest ich mir verantwortungsvolle Politik nicht vor! Das „übliche Gesudere“ ist zu wenig für Oppositionsarbeit und schon gar kein taugliches Mittel auf dem Weg zu neuer Verantwortung!
Johannes-Maria Lex, 1110 Wien

Die neue Bundesregierung ist kaum ein paar Stunden im Amt, erwarten sich vor allem Medien bereits konkrete Resultate, Antworten und Finanzierungspläne auf Vorhaben, die oft in die Jahre reichen. Ministerinnen und Minister müssen bereits am ersten Tag ihres Amtsantritts über das Regierungsprogramm hinaus Fragen beantworten, die sie beim besten Willen nicht beantworten können. Die Periode dauert bekanntlich fünf Jahre, und in vielen Fällen kann niemand vorhersagen, wie sich Politik und Wirtschaft entwickeln. Da fällt mir nur der alte Werbespruch von 1971 ein, abgewandelt auf jetzt: Lasst Kurz und sein Team arbeiten!
Apropos Bundeskanzler, zu dessen Linie ich persönlich stehe: Im Fall der unfassbaren Attacken auf die neue, absolut qualifizierte Justizministerin Zadić hätte man sich deutlichere Worte zu deren Verteidigung und damit mehr Solidarität erwartet. Man müsse Derartiges aushalten, so Kurz. Das war für einen Regierungschef, auf dessen Schutz auch jedes Mitglied der anderen Regierungspartei Anspruch hat, halbherzig.
Prof. Dr. Franz Oswald, 1230 Wien

Türkis hat ein Regierungsprogramm ausgehandelt, das seinem Expartner kaum Spielraum lässt, seine USP weiterhin erfolgreich zu kommunizieren. Ergo wird Sebastian Kurz mit diesem Programm weiter Stimmen aus diesem Lager abziehen. Mit dem zweiten Schwerpunkt, den Leistungsträgern wieder etwas Luft zum Atmen zu lassen, konsolidiert er seine starke Stellung beim Mittelstand. Ein durchdachtes, attraktives Programm.
Bleibt abzuwarten, wie der Bundeskongress seines präsumtiven Partners reagiert und wie die Zusammenarbeit in den Mühen der Ebene funktioniert. Konzentriert sich jeder auf seine Stärken und lässt den anderen arbeiten, hätten wir endlich wieder eine attraktive Regierung. Eine, um die uns auch unser wichtigster Handelspartner beneiden wird, der gerade das erfährt, was wir jahrzehntelang erlebten: Stillstand.
Hoffen wir auch, dass die Meilensteine des Regierungsprogramms zügig und mit Augenmaß umgesetzt werden. First things first sollte die Devise sein, und nicht das Quälen der Bevölkerung mit plakativen Scheinmaßnahmen. Und zuletzt, weil einige Kommentatoren schrieben, Sebastian Kurz hätte zu liefern und dürfe nicht wieder daran scheitern, eine volle Legislaturperiode durchzuhalten: Kurz muss gar nichts! Wenn es nicht mehr passen sollte, wird er die Konsequenzen ziehen.
Dr. Erich Gnad, 1030 Wien

Zur VP-Dominanz im Regierungsprogramm

Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum sich Wiens Bürgermeister über die Dominanz der ÖVP im Regierungsprogramm mit den Grünen „einigermaßen“ erstaunt zeigt. Betrachtet man das letzte Wahlergebnis pragmatisch, so hat Türkis über 37 Prozent und haben die Grünen knapp 14 Prozent der Wählerstimmen erhalten, also ein Verhältnis von nahezu 3:1. Es muss doch verständlich sein, dass sich dies auch in den politisch vordringlichen Fragen, den Schwerpunkten und der Verteilung der Ministerposten auswirkt.
Dr. Klaus Marchesani, 1130 Wien

Das neue grüne Regierungsmitglied Werner Kogler hat ein gestörtes Verhältnis zu höheren Personenkraftwagen und nennt diese „stinkende“ SUVs. Er möge sich gleich einmal bei der ministeriellen Fahrzeugflotte umsehen und wird vielleicht dort auch starke, geprüfte einheimische Motoren vorfinden.
Wenn dem neu gebackenen, grünträumenden Vizekanzler diese nicht zu Gesicht stehen, könnte er ja auf Wiener Fiaker oder die frei werdenden Polizeipferde – neben Fahrrädern – umsteigen. Mit einer Regierungsbeteiligung der Grünen von unter zehn Prozent der Gesamtbevölkerung möge sich der neue Vizekanzler seiner Nichtallmacht bewusst sein.
Komm.-Rat Horst Six, 4040 Linz

So viel zum Sparen

Jetzt ist sie also im Amt, die neue Bundesregierung. Sie besteht aus 15 Mitgliedern, während die Vorgängerregierung mit zwölf auskam. Dazu kommen zwei Staatssekretäre, die es bisher nicht gab.
Es würde auch nicht wundern, würden die Ministersekretariate wieder aufgebläht und Generalsekretäre in einigen Ministerien ernannt werden, wie es unter Schwarz-Blau der Fall war. So viel zum Sparen, von dem der neue Bundeskanzler immer spricht.
Dr. Alexander Demblin, 1040 Wien

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