Crashkurs Arbeitsrecht

Kann man auf seine Abfertigung verzichten?

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Folge 74. Ida U., Unternehmerin, entlässt einen ihrer Dienstnehmer, als dieser alkoholisiert während der Arbeitszeit im Büro gefährliche Silvestersprengkörper zündet.

Als der Dienstnehmer um eine einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses bittet, gibt sie nach. In einem kurzen Schriftstück wird das Dienstverhältnis mit sofortiger Wirkung einvernehmlich beendet und der Dienstnehmer verzichtet auf die Auszahlung der Abfertigung alt.

Weiters wird festgehalten, dass Ida U. auf die Einhaltung der nachvertraglichen Konkurrenzklausel verzichtet. Wenige Tage später erhält Ida U. jedoch ein Schreiben vom Anwalt des Dienstnehmers mit der Forderung der Abfertigung alt, da der „Verzicht“ darauf unzulässig sei. Ida U. fragt sich nun, ob sie tatsächlich die Abfertigung zahlen muss und ob sie den Sprengschaden vom Dienstnehmer ersetzt bekommen kann.

Verzicht und Vergleich

Grundsätzlich sollen mit einem Vergleich streitige und zweifelhafte Ansprüche aus der Welt geschafft und einvernehmlich unter beiderseitigem Nachgeben eine neue Verbindlichkeit begründet werden.

Davon abzugrenzen ist der Verzicht auf einen Anspruch. Dabei wird ein zweifellos bestehender Anspruch von einer Partei aufgegeben. Besonders brisant sind Verzichtserklärungen des Dienstnehmers gegenüber dem Dienstgeber sowie Vergleiche zwischen den beiden im Hinblick auf die typischerweise bestehende Abhängigkeit des Dienstnehmers vom Dienstgeber.

Kann man auf einen Anspruch verzichten?

Für die Beurteilung, ob über einen Anspruch rechtswirksam verfügt werden kann, ist im Arbeitsrecht zwischen abdingbaren und unabdingbaren Ansprüchen des Dienstnehmers zu unterscheiden.

  • Besteht der Anspruch (nur) aufgrund vertraglicher Vereinbarungen, so handelt es sich um einen abdingbaren Anspruch.
  • Resultiert der Anspruch hingegen aus zwingenden gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Bestimmungen, so handelt es sich um einen unabdingbaren Anspruch.

In einem weiteren Schritt ist die Fälligkeit eines unabdingbaren Anspruches zu überprüfen. Ist ein unabdingbarer Anspruch noch nicht fällig, kann der Dienstnehmer keinesfalls auf ihn verzichten. Sodann ist anhand der sogenannten „Drucktheorie“ zu beurteilen, ob der Verzicht aufgrund der wirtschaftlichen Drucksituation des Dienstnehmers überhaupt wirksam sein konnte.

  • Währenddes aufrechten Dienstverhältnisses wird der wirtschaftliche Druck des Dienstnehmers widerleglich vermutet und der Verzicht auf unabdingbare Ansprüche ist grundsätzlich nicht möglich.
  • Nach Beendigung des Dienstverhältnisses ist zu klären, ob sich der Dienstnehmer noch in der typischen Abhängigkeit befindet und ob das Dienstverhältnis zumindest wirtschaftlich beendet ist. Kein wirtschaftlicher Druck wird vorliegen, wenn eine ausgesprochene, berechtigte Entlassung in eine einvernehmliche Beendigung umgewandelt wird.

Zusammenfassend sind daher nachstehende Fragen für die Zulässigkeit eines vom Dienstnehmer abgegebenen Verzichtes zu stellen:

  • Liegt ein abdingbarer oder ein unabdingbarer Anspruch vor?
  • Ist die Fälligkeit bereits eingetreten?
  • Erfolgt der Verzicht vor oder nach Beendigung des Dienstverhältnisses?
  • Steht der Dienstnehmer noch in der typischen Abhängigkeit vom Dienstgeber?

Im Fall von Ida U. macht der Anwalt den Anspruch auf Abfertigung alt geltend. Dieser beruht auf zwingenden gesetzlichen Bestimmungen, weshalb es sich jedenfalls um einen unabdingbaren Anspruch handelt. Dieser wäre grundsätzlich mit der Beendigung des Dienstverhältnisses fällig.

Ida U. hatte den Dienstnehmer bereits berechtigterweise entlassen und die Entlassung wurde auf Wunsch des Dienstnehmers in eine einvernehmliche Beendigung umgewandelt. Von wirtschaftlichem Druck des Dienstnehmers war sohin zum Zeitpunkt der Abgabe der Verzichtserklärung nicht mehr auszugehen. Ein Verzicht auf die Abfertigung alt wäre wirksam.

Hier ist die Vereinbarung jedoch nicht als Verzicht, sondern als Vergleich unter beiderseitigem Nachgeben zu werten. Ein Verzicht kann nur über zweifellos bestehende Ansprüche abgegeben werden. Der Anspruch auf Abfertigung alt besteht jedoch bei begründeter Entlassung nicht. Umgekehrt hat Ida U. auf die Geltendmachung der nachvertraglichen Konkurrenzklausel verzichtet, wofür der Dienstnehmer den Anspruch auf Abfertigung aufgegeben hat.

Im Gegensatz zum Verzicht ist die Zulässigkeit eines Vergleiches über unabdingbare Ansprüche lediglich an das Günstigkeitsprinzip geknüpft. Danach muss die Aufgabe einer Rechtsposition durch andere Vorteile ausgeglichen werden. Im Rahmen eines Vergleiches kann damit weitergehend als durch Verzicht über unabdingbare Ansprüche verfügt werden. Der äußerst zweifelhafte Anspruch des Dienstnehmers auf die Abfertigung alt wird durch andere Vorteile (wie den Verzicht von Ida U.  auf die Konkurrenzklausel und dem besseren beruflichen Fortkommen durch den Abschluss einer einvernehmlichen Beendigung) ausgeglichen. Somit besteht kein Anspruch auf die Abfertigung alt.

Muß der Dienstnehmer Schadenersatz zahlen?

Die sogenannte Bereinigungswirkung eines Generalvergleiches (Vergleich über ein gesamtes Rechtsverhältnis) umfasst auch ohne Generalklausel (z.B. „Hiermit sind sämtliche wechselseitigen Rechte bereinigt und verglichen.“) grundsätzlich alle wechselseitigen Rechte, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleiches bekannt oder erkennbar waren. Ausgenommen von dieser Bereinigungswirkung sind nur Ansprüche,

  • die nicht erkennbar waren oder mit deren späterem Entstehen nicht gerechnet werden konnte oder
  • die von der anderen Partei bewusst verheimlicht wurden, obwohl eine Aufklärungspflicht bestand.

Gegenständlich wusste Ida U. bereits bei Abschluss des Vergleiches, dass der Dienstnehmer den Sprengkörper im Büro gezündet hatte. Sie hat somit damit mit einem Schaden rechnen müssen. Aufgrund des abgeschlossenen Generalvergleiches über die Beendigung des Dienstverhältnisses ist eine nachträgliche Schadenersatzforderung nicht möglich.

Fazit

Entgegen der Ansicht des Anwaltes des Dienstnehmers liegt kein unwirksamer Verzicht auf die Abfertigung alt vor, sondern ein wirksamer Vergleich. Der ehemalige Dienstnehmer kann keinen Anspruch auf Abfertigung alt mehr geltend machen. Dafür kann auch Ida U. keinen Schadenersatz mehr geltend machen, da sie diesen Schaden bei Abschluss des Vergleiches bedenken hätte können.

Dr. Roland Heinrich ist Rechtsanwalt und Partner bei Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH (SCWP Schindhelm) am Standort Wels mit Schwerpunkt im Bereich des Arbeitsrechts.


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