Filmkritik

„Vom Gießen des Zitronenbaums“: Die Welt als Abbild Palästinas

Ist das der europäische Ordnungswahn? In Paris misst die Polizei Terrassenbreiten nach, der Dandy aus Palästina (Elia Suleiman) wundert sich still.
Ist das der europäische Ordnungswahn? In Paris misst die Polizei Terrassenbreiten nach, der Dandy aus Palästina (Elia Suleiman) wundert sich still.(c) Polyfilm
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In der Komödie „Vom Gießen des Zitronenbaums“ blickt der palästinensische Meisterregisseur Elia Suleiman mit dezentem Befremden auf Frankreich, die USA und seine Heimat.

Dass die Marketingstrategien europäischer Programmkinos längst ebenso standardisiert sind wie die großer Hollywoodstudios, merkt man nicht zuletzt an den Verleihtiteln, die sie ihren Filmen angedeihen lassen. Deren überwiegende Mehrheit bedient sich bewährter Signalwörter, die das Zielpublikum mit der Aura vertrauter Behaglichkeit anlocken sollen. Manchmal verheißen sie Wohlbefinden allgemeiner Art, per „Licht“, „Duft“, oder „Liebe“. Öfter markieren sie jedoch ein Ursprungsland, das selige Urlaubsgefühle oder den Reiz nationaler Lebenskultur evozieren soll, im Fall Frankreichs etwa über Codes wie „Madame“ und „Monsieur“, „Paris“ und „Bretagne“.

In der Regel verbirgt sich hinter dieser Verbalreklame leichte Kost nach Schema F. Doch es kommt vor, dass sich der Normtitel als positive Mogelpackung entpuppt, dessen schale Fassade kaschiert, dass ein Leinwandprodukt gängige Genrekategorien aushebelt. Ein aktuelles Exempel: „Vom Gießen des Zitronenbaums“. Entgegen der naheliegenden Annahme, es handle sich hier um die x-te filmische Auswalzung wohlfeilen Italo-Kitschs, spielt der Film gar nicht im sonnigen Süden – zumindest nicht in jenem, an den man im Arthouse-Zusammenhang zu denken geneigt ist. Und gleichwohl er als Komödie bezeichnet werden kann, klimpert er auf ungewohnten Lustspiel-Klaviaturen.

„Vom Gießen des Zitronenbaums“ ist nämlich der jüngste Streich des palästinensischen Regisseurs Elia Suleiman. Der internationale Ruf des 59-Jährigen gründet vornehmlich auf einer Handvoll Langfilme, die seit Anfang der 1990er in gemächlichen Intervallen entstanden: Ein an Klassikern der Kinokomik geschulter Sinn für Humor trifft darin prägnant auf subtile Politkritik. Das letzte dieser trocken satirischen Dramen, „The Time That Remains“, liegt bereits eine Dekade zurück. Umso größer die Freude von Fans angesichts der letztjährigen Cannes-Premiere von „It Must Be Heaven“ – so der Originaltitel von Suleimans viertem Film.

Segway-Ballett in Paris, Gewehre in NY

Wie in den meisten seiner bisherigen Arbeiten gibt der Regisseur die Hauptfigur selbst: Ein Alter Ego namens E. S., das fast den ganzen Film über kein Wort spricht, nur als Zaungast und stiller Beobachter über (oder eher: neben) den Dingen schwebt – und bisweilen in absurde Situationen gerät, die im Rahmen elegant komponierter Tableaus auf pointierte Weise zur Schau gestellt werden. (Kein Wunder, dass Suleiman oft mit Keaton und Tati verglichen wird.)

Seine Suche nach Heimat und Identität bildet diesmal den Dreh- und Angelpunkt. Der Film beginnt in Palästina, wo der alternde Filmemacher sich nicht wirklich wohl zu fühlen scheint: Eltern streiten mit ihren Kindern, Nachbarn neigen zu sonderbarem Verhalten, vages Unbehagen wabert in der Luft. Also steigt der angegraute Dandy, der nie ohne Hut zu sehen ist, in den Flieger – und düst nach Paris.

Dort sind zwar die Menschen fein herausgeputzt und die Straßen blitzsauber, aber die Welt steht genauso Kopf. Durch Suleimans Hornbrille wundert man sich über die Auswüchse europäischen Ordnungswahns, wenn Polizisten Terrassenbreiten abmessen oder auf der Jagd nach Terroristen formschöne Segway-Balletts aufführen. Oder über unterschwellige Ellenbogenmentalität, wenn sich Parkbesucher wortlos Sitzgelegenheiten streitig machen. Später verschlägt es den Protagonisten nach New York (gedreht wurde allerdings in Montreal), wo das dezente Befremden nicht abbricht: In einer Szene entdeckt er im Supermarkt einen Waffenträger – und muss erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass ringsum alle mit MGs beladen sind, vom Kleinkind bis zur Oma. So anders als zu Hause ist es hier offenbar doch nicht . . .

Nebenher reflektiert Suleiman seine prekäre Position im Kulturbetrieb: Wenn ein französischer Produzent ihm eine Finanzierungsabsage erteilt, mit der Begründung, das vorgeschlagene Projekt sei einfach nicht „palästinensisch genug“, dann soll das wohl auch die langen Pausen zwischen seinen Filmen rechtfertigen. Derartige Gesten verleihen dem Film stellenweise den Anstrich abgeklärter Altherren-Eitelkeit – doch sie wird stets konterkariert von Ironie und Melancholie. Die nach der Befragung eines US-Wahrsagers in Heimweh umschlägt. Dieser ist sich seiner Sache gewiss: „There will be Palestine!“ Nur wann genau, das steht noch in den Sternen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2020)

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