Theater Drachengasse

„Vulva-Land, reich' mir deine zarte Hand“

(c) Andreas Friess / picturedesk
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„Bulletproof“ von und mit Grischka Voss bringt, was Sie schon immer über Sex wissen wollten. Fragen Sie lieber nicht: Kein Auge bleibt trocken, keine Falte unerforscht. Das Publikum freute sich.

Mit pinken Schuhsackerln an den Stiefeln stolpern die Besucher im Theater in der Drachengasse durch eine riesige rosige Vagina. Die gute Nachricht zuerst: „Bulletproof“ (Kugelsicher) von und mit Grischka Voss ist besser als die groben „Vagina-Monologe“ von Eve Ensler oder Charlotte Roches „Feuchtgebiete“, natürlich auch weniger grimmig als Elfriede Jelineks „Lust“.

Als sexuelle Globetrotterin Amanda, eine Kunstfigur, gleich alt wie Voss, 50, spricht die Schauspielerin in schwarzer Ledermontur mit Wollmütze über all das, was abenteuerlustige Frauen so erleben, betrunkene, eitle, ahnungslose Männer, Penis-Kult. Hier hat sich ein geschmackloser Witz eingeschlichen: Mit dem Penis des gut bestückten Praktikanten, der mit Amanda Steak speist, bevor es zur Sache geht, könnte man „einem Baby die Fontanelle einschlagen“. Au.

Dies bleibt nicht die einzige Entgleisung bei diesem zu Peinlichkeiten animierenden Thema. „Ich könnte stundenlang solche Geschichten erzählen!“, spricht Amanda. Leider ja. Zwei Stunden sind für diese Aufführung eindeutig zu lang. Die Performance hätte eine witzige Kabarett-Vorstellung zur angeblich wichtigsten Sache der Welt werden können. Jedoch belädt Voss ihr buntes Wägelchen nicht nur mit schlüpfrigem Stoff, sondern auch noch mit den Leiden ihrer Freundin Sylvie, einer alleinerziehenden Mutter. Amanda selber ist kinderlos. Und sie zieht sich aus, um zu dramatischen Gitarrenklängen den traurigen Hintergrund ihres leichtsinnigen Daseins zu illustrieren.

Kabarett, gemischt mit Moralpredigt

Übrigens sieht Voss noch immer wie ein Mädchen aus, als Frau darf man das sagen. Umso mehr, als es mit der Aufführung zu tun hat: Grischka Voss, das ist eine sensible, drollige Künstlerin, hier sieht man das nur momentweise. So sehr sich Voss anstrengt, der zynische Vamp Amanda passt nicht recht zu ihr. „Bulletproof“ erscheint wie die Flucht aus jenem Leben, das die Tochter von Ursula und Großschauspieler Gert Voss (1941–2014) in ihrer Autobiografie „Wer nicht kämpft, hat schon verloren: Erinnerungen eines Gauklerkindes“ so anschaulich und berührend beschrieben hat. Das Theater-Solo dagegen wirkt krampfig, gestelzt. Voss' Thespis-Karren ist so vollgestopft wie die Müllkisten auf Lkw, die wir jetzt stärker wahrnehmen als früher: Taugliches, halb und ganz Verbrauchtes sind zusammengepfercht. Von One-Night-Stands geht's zur Prostitution, zu Sexspielzeug, Therapeuten, Sex zum Zwecke des Stressabbaus. Im Stil von Janis Joplin trällert Amanda „Pussy sang the Blues“, auch Freud, Sartre u. a. Machos fehlen nicht – und zwischendurch gibt's noch eine Warnung: niemals ohne Kondom.

So viel von Sex die Rede ist, die Aufführung wirkt relativ unsinnlich – und es passt in unsere eigenartig egozentrische Zeit, dass Amanda überzeugt ist: „Ich bin mit Abstand meine beste Liebhaberin.“ Schließlich zeigt sie einen Abdruck ihrer Vagina, singt noch einen Heuler mit der gewagten Metapher „Vulva-Land, reich' mir deine zarte Hand“ und wünscht dem wohl mit vielen Freunden und Freundinnen durchsetzten Premierenpublikum einen „feuchten Abend“.

Die Zuschauer wirkten amüsiert, viele Vorstellungen sind bereits ausverkauft. Ob das viele Geschwätz weniger Stress und mehr Spaß im Schlafzimmer bewirkt? Einige Male agitierte Amanda Zuseher direkt an, diese sahen eher verschreckt als angetörnt drein. Insgesamt: etwas penetrant.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2020)

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