Musikverein

Verdis Totenmesse, von Muti neu vermessen

Riccardo Muti (Archivbild).
Riccardo Muti (Archivbild).(c) APA/HANS PUNZ
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In seiner Messa da Requiem fasste Verdi die Ängste und Zweifel eines modernen Menschen in Töne. Für ihre Interpretation in diesem Sinn wurden Muti und die Seinen mit Standing Ovations gefeiert.

Wenn Riccardo Muti und das Chicago Symphony Orchestra im Musikverein zusammen mit dem Wiener Singverein und prominenten Solisten das Verdi-Requiem interpretieren, dann wird das nicht nur zu einem von Gesangsaficionados und Orchesterconnaisseurs gleichermaßen bejubelten Ereignis, sondern kommt einer musikalischen Neuvermessung des viel gespielten Werks gleich – nach Länge, Breite und Höhe. Oder, genauer: in den mit Bedacht gewählten dynamischen Extremwerten, in nie verhetzten, aber auch nicht zerfließenden Tempi, im Auskosten von Übergängen und mit Ritardandi angesteuerten Kulminationspunkten sowie im Ausloten transzendentaler Einsamkeit. Wie das aus einer einzelnen menschlichen Kehle klingt, führt zuletzt Krassimira Stoyanova vor mit ihren in der Höhe perlmuttschimmernden, in der Tiefe klagenden, bangen Seelentönen des „Libera me“.

Muti legt bei alldem jene Maßstäbe an, die er penibel aus Verdis Partituren und Kommentaren abgeleitet hat – natürlich auch aus seinen Opern. Es war erst die antimoderne Cäcilianismus-Bewegung des 19. Jahrhunderts, die den eher unfrommen Wunsch formulierte, die Kirchenmusik solle sich gefälligst an Palestrina orientieren und alle späteren „weltlichen“ Einflüsse ausblenden. Verdi und sein Requiem galten da eine Zeit lang, historisch zu Unrecht, als Lieblingsfeinde der Puristen. Ihre Einwände müssen freilich vor der achtstimmigen „Sanctus“-Doppelfuge verstummen: Der großartige Wiener Singverein in der Rolle der himmlischen Heerscharen scheint dabei wie auf Wolken zu tanzen, so transparent tönt das, und so leichtfüßig mit den exakt trippelnden Achteln der Streicher. Muti duldet kein Schleppen – und nimmt den Schlussakkorden jede blecherne Erdenschwere, so als würden sie über den Köpfen schweben.

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