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Schönheit im Angesicht des Todes: Joe Henry

Joe Henry
Joe HenryJacob Blickenstaff
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Als er „The Gospel According To Water“ schrieb, war der große US-Songwriter bereits todkrank. Die Lieder klingen intim, karg und seltsam optimistisch.

Dass er noch sein 15. Album aufnehmen konnte, war keine ausgemachte Sache. Joe Henry, Jahrgang 1960, bekam im November 2018 eine niederschmetternde Diagnose. Prostatakrebs Stufe vier, verbleibende Lebenserwartung etwa sechs Monate. Nach Tagen der Lähmung wandte er sich dennoch, nicht zuletzt eingedenk des Schicksals seines Freundes, des Country- und Folksängers John Prine, der schon zwei Krebserkrankungen überlebt hat, couragiert dem Songwriting zu.

In seinen 13 neuen Liedern grübelt Henry nuanciert über die Versuchungen und Sünden, die sich da so ansammeln im Laufe eines Lebens. Auf seiner Homepage joehenrylovesyoumadly.com kommentieren 13 Musiker, mit denen Henry befreundet ist, diese neuen Lieder. Darunter Rosanne Cash, Lucina Williams und Joan Baez. Der vielleicht schönste Eintrag stammt vom ebenfalls an Krebs erkrankten Kollegen Elvis Costello: „There is enough anger, enough misery in the world. Too many tears, fires and trampled flowers, so make room in your life for some beauty like this.“

Liiert mit Madonnas Schwester

Besonders sinnfällig wird die von Costello konstatierte Schönheit in „Green Of The Afternoon“, das mehr nach englischem Folk à la Nick Drake und John Martyn klingt als nach Americana. Mit gepresster Stimme offenbart Henry, worum es ihm in seiner Kunst geht: „I mean to sing of love that goes uncured, you come to me and silence every word. But what goes unspoken may not go unheard.“ In schwierigen Zeiten kann das Schweigen also durchaus an Gewicht gewinnen.

Was die Liebe anlangt, so lebt Henry, der in seiner Kunst gern das Indifferente idealisiert, seit Jahrzehnten in klaren Verhältnissen. Als Schüler in der Highschool von Rochester war er in einer Clique mit Madonna und ihrer Schwester Paula. Dieser borgte er ein paar Bücher, doch sie wechselte zur Uni und beauftragte ihre jüngere Schwester Melanie Ciccone mit der Rückgabe. Nach einigen Irrungen und Wirrungen kamen Melanie und Joe zusammen und sind seither ein Paar. Sie peitschte ihn jetzt zum Arzt, kurz bevor es zu spät gewesen wäre.

Der gemeinsame Sohn Levon spielt auf dem neuen Album Saxofon und Klarinette. Es sind meist nur kleine Motive, die die karge Anmutung des Albums dezent würzen. Aufs Schlagzeug verzichtet Henry diesmal völlig. Auf früheren Alben haben ihn Jazzgranden wie Ornette Coleman, Don Cherry und Marc Ribot begleitet. Diesmal wird die große instrumentale Expression ausgespart, Henrys Stimme wird zum Hauptinstrument. Diese Maßnahme erhöht die Intensität.

Im Februar 2019 fiel Henry der erste Song für „The Gospel According To Water“ ein. Erst der Text im Bett, tags darauf im Auto die Musik. Henry hielt den Wagen an und sang in sein iPhone: „I came here for the funeral of all sorrow, last in line, but in time for tomorrow.“ Das Lied „In Time For Tomorrow (Funeral For Sorrow)“ wurde zum emotionalen Wendepunkt in der Phase der Entstehung der Lieder. Statt sich selbst zu bemitleiden, entschloss sich Henry, auch in diesen schwierigen Zeiten der Welt seine Seele zu offenbaren, wenngleich meist von etwas Fiktion camoufliert. In „Bloom“ umkreist er zu leisen Akustikgitarrenklängen das Phänomen der verschwindenden Zeit. „,Oh, where has gone the time?‘, we say, even as it moves, over and up ending everything we say it proves.“ Auch wenn die Zeit alles kippt und ins Chaos stürzt, ist „Bloom“ kein Lied des Bedauerns, sondern eine Art taoistische Hymne, die den Weg, nicht das Ziel feiert.

Im nachdenklichen Titelsong steht das Wasser als Chiffre für permanente Veränderung. Das ist nichts Neues, aber es wurde selten so subtil ausgeführt wie von Henry hier. „There's beauty in the making of what will go unseen“, lautet eine schöne Wendung, die wohl mit etwas Bitterkeit aufgeladen ist. Henrys eigene Platten sind nämlich weniger populär als seine – mit bisher vier Grammys bedachte – Arbeit als Produzent für andere. Möge die Schönheit seiner Lieder nicht ungehört bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2020)

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