Erdogan: "Sie werden im eigenen Blut ertrinken"

Erdogan werden eigenen Blut
Erdogan werden eigenen BlutRecep Tayyip Erdoğan (rechts im Bild) (c) Reuters (Stringer)
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24 Tote in der Türkei nach blutigem Wochenende. Droht nun auch Terrorwelle gegen Touristen? Die Nationalisten im Parlament von Ankara fordern bereits die Wiedereinführung des Ausnahmezustands im Kurdengebiet.

Istanbul (APA/keet/dpa). Die Türkei steht unter Schock. „Unser Schmerz ist groß, unsere Trauer reicht bis zum Gipfel der Berge“, sagte Recep Tayyip Erdoğan. Der türkische Ministerpräsident stand am Sonntag im osttürkischen Van vor elf Särgen, die mit der Landesfahne geschmückt waren. Elf Soldaten waren von den PKK-Rebellen bei einem nächtlichen Angriff getötet worden.

„Wir werden nicht aufgeben, sie werden nicht gewinnen“, sagte Erdoğan. „Sie werden in ihrem eigenen Blut ertrinken.“ Es wird also noch mehr Tote geben.

In der Nacht zum Samstag waren PKK-Kämpfer aus dem Nordirak in die Region südlich der Stadt Şemdinli in der Nähe der türkischen Grenzen zum Irak und zum Iran eingesickert und eröffneten das Feuer auf Stellungen der Armee. Dabei starben mindestens zwölf Soldaten.

Türkische Kampfjets bombardierten darauf vermutete PKK-Stellungen im Norden Iraks. Die Armee meldete den Tod von mindestens zwölf PKK-Kämpfern. Doch das konnte niemanden über die eigentliche Bedeutung des Rebellenangriffs hinwegtäuschen: Auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach Beginn der Kämpfe zwischen der PKK und der türkischen Armee im Jahr 1984 hat die Türkei kein Rezept gegen die Rebellen.

Nun schlägt die Stunde der Hardliner. Die Nationalisten im Parlament von Ankara fordern bereits die Wiedereinführung des Ausnahmezustands im Kurdengebiet – als wäre die PKK nicht gerade in den Zeiten des Kriegsrechts in den 1990er-Jahren ganz besonders stark gewesen.

Auch die kurdische Seite gießt Öl ins Feuer. Seit Ende Mai haben die Aktionen der PKK gegen das türkische Militär stark zugenommen. Letzte Woche tauchte darüber hinaus eine Erklärung der von der PKK angeblich unabhängige Organisation „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK) auf, in der sie mit Aktionen in Ferienorten drohen. Die TAK hat in den letzten Jahren die Verantwortung für zahlreiche Bombenanschläge übernommen, bei denen auch ausländische Touristen getötet wurden. Eine Terrorkampagne gegen Touristen wäre ein schwerer Schlag gegen die türkische Wirtschaft: Die Türkei erwartet heuer 30 Millionen Touristen, etwa zehn Prozent mehr als im Vorjahr.

Mit der neuen Gewaltwelle will die PKK nicht nur ihre Stärke demonstrieren, sondern Ankara auch dazu zwingen, ihren inhaftierten Chef, Abdullah Öcalan, als Gesprächspartner zu akzeptieren – was für Ankara nicht infrage kommt. Bisher glaubte Erdoğan, die PKK mithilfe politischer Reformen zugunsten der Kurden schwächen und schließlich in die Bedeutungslosigkeit drängen zu können. Sein Programm mit dem Titel „Demokratische Öffnung“ beinhaltet unter anderem eine Ausweitung der Sprachfreiheit für die Kurden.

Verschwörungstheorien schießen ins Kraut

Doch die „Öffnung“ konnte sich nie richtig entfalten. Erdoğan trat angesichts massiver Kritik der Nationalisten bei den Reformen auf die Bremse – und die Kurdenpartei BDP verweigerte sich als politische Vertretung der Kurden den Gesprächen mit der Regierung, weil sie ebenfalls Öcalan als eigentlichen Kurdenchef ins Spiel bringen wollte.

Nun, nach fast fünfzig toten Soldaten und Polizisten bei PKK-Angriffen seit Mitte April, steht Erdoğan vor einem Scherbenhaufen.

Wie die PKK es schafft, trotz der mittlerweile engen geheimdienstlichen Zusammenarbeit von Türkei, USA und Irak immer wieder wie aus dem Nichts aufzutauchen und zuzuschlagen, weiß in Ankara niemand so recht. In ihrer Hilflosigkeit stürzen sich manche in Verschwörungstheorien.

Erdogan selbst sprach von „Kräften, die die PKK gegen die Türkei benutzen“. Wen er damit meinte, sagte er nicht, doch in der Presse machen wilde Spekulationen die Runde, die PKK werde von Israel unterstützt. Schließlich habe Israel wegen des Streits um den Angriff auf die Gaza-Schiffe noch ein Hühnchen mit der Türkei zu rupfen. Manche Nationalisten betrachten Kurden und Juden ohnehin als gefährlichen Doppelfeind. Sie finden derzeit mehr Gehör als besonnene Stimmen, die den Türken raten, im Land selbst nach den Gründen für den Kurdenkonflikt zu suchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21. Juni 2010)

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