Nachhilfe für Julia Ortner

Was ist Politik aus christlicher Verantwortung?

In ihrer Kolumne „Das Ortner-Prinzip“ vermeinte die „Falter“-Redakteurin in der „Presse“ all jenen eine Nachhilfelektion geben zu können, die als Christdemokraten einer Mindestsicherung nur dann zustimmen, wenn sie halbwegs missbrauchsicher ist. Umgekehrt ist auch gefahren! Verantwortungslos handeln jene, die eine so bedeutende Sozialleistung neu einführen wollen, ohne gleichzeitig alles zu unternehmen, um den Missbrauch damit zu verhindern. Sie setzen nämlich den sozialen Grundkonsens im Land leichtfertig aufs Spiel. Wird diese neue Grundsicherung eingeführt und ebenso schamlos missbraucht, wie so viele Sozialleistungen davor, dann gibt es einen Aufstand der Bezieher kleinerer Einkommen quer durch alle Parteien.

Ich habe in den letzten Monaten bei vielen Begegnungen mit dem sprichwörtlichen „kleinen Mann“ aus allen politischern Lagern nicht einen einzigen gefunden, der Verständnis für die Mindestsicherung gehabt hätte. Ohne zu arbeiten oder gearbeitet zu haben soll jeder einen gesetzlichen Anspruch auf monatlich 783,99 Euro vom Staat erhalten? Oft musste ich den Satz aus dem 2. Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher zurechtrücken: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Einen Satz, den man nur in einer längst überwundenen Almosengesellschaft verstehen und der heute nicht mehr gelten kann. Viele Ausgleichszulagenbezieher haben mir ihre lebenslange Arbeit und ihre Beiträge vorgehalten. Bezieher bäuerlicher Kleinpensionen, denen man die „freie Station“ auf ihrem Hof bei der Ausgleichszulage anrechnet und nur knapp über 600 Euro Pension bezahlt, sind wütend. Zwei Eheleute mit Kleinpensionen erhalten zusammen eine Zulage auf 1175,45 Euro, zwei Bezieher der Mindestsicherung, die zusammenleben, 1567,98 Euro! Dass nur Arbeitswillige, die nicht arbeiten können, die Mindestsicherung erhalten, wird einfach nicht geglaubt.

Daher muss alles unternommen werden, um Betrügereien zu verhindern – die Transparenzdatenbank ist ein Mittel dazu. Julia Ortner meint, es sei nicht christlich-sozial, die Mindestsicherung als soziale Hängematte zu verunglimpfen. Dem halte ich entgegen: Politik aus christlicher Verantwortung muss verhindern, dass Sozialleistungen als soziale Hängematte missbraucht werden! Julia Ortner meint, es sei nicht christlich-sozial, gegen Vermögenssteuern zu sein. Politik aus christlicher Verantwortung weiß, dass eine Steuerquote von 43 Prozent dem Satz „Jedem das Seine“ widerspricht und wirkt daher auf Steuersenkungen hin. Julia Ortner meint, es sei nicht christlich-sozial, das Fremdenrecht zu verschärfen. Politik aus christlicher Verantwortung weiß, was den Menschen im Land und dem Rechtsstaat zuzumuten ist! Zum Vorwurf des Neoliberalismus in Österreich: Wer sieht denn hier Gespenster?

Univ.-Prof. Andreas Khol war Nationalratspräsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2010)

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