Nordsee

Sylt: Deutsche Sandbank, reich an Austern

Wandern. Das Rote Kliff zwischen Kampen und Wennigstedt macht die Mauer zum Meer.
Wandern. Das Rote Kliff zwischen Kampen und Wennigstedt macht die Mauer zum Meer.(c) Sylt Marketing/Dominik Tauber
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Schickeria, Schalentiere, Schampus? Ja, das ist die Nordseeinsel Sylt. Sonnenuntergänge, Sanddünen, Strandkörbe? Das auch. Aber nicht nur.

„Im Sommer brauchen Sie für diese Zehn-Minuten-Strecke mehr als eine halbe Stunde", beklagt ein Taxifahrer den Verkehr auf dem Eiland, das durch den Hindenburgdamm nur mit dem Zug oder Autozug erreichbar ist. Außerhalb der Hauptsaison oder zu Ostern ist es ruhiger und günstiger. Obwohl sich Sylt in den vergangenen zehn Jahren zu einer Ganzjahresdestination entwickelt hat, wie Hoteldirektor Christian Siegling meint. Sylt-Besucher sind ja mehr als Wiederholer: „Die als Kinder schon da waren, kommen wieder", sagt Siegling. Und er verweist auf die vielen unberührten Gegenden dieser Insel, die für viele nur das Synonym für Chicness ist.

Definitiv chic ist Kampen im nördlichen Teil der Insel. Der Ort vereint Strand, Dünen und Watt und war einst Ferienort von Thomas Mann, Hermann Hesse, Emil Nolde oder Max Frisch. Deutsche Prominente wie Gunter Sachs fanden sich Ende der 1960er ein und feierten Partys. Heute residieren die VIPs etwas beschaulicher – in ihren Feriendomizilen. Luxusboutiquen und schöne Restaurants in reetgedeckten Häusern gehören zum Ortsbild.

»Die meisten Häuser entstanden innerhalb
weniger Jahre.«

Whisky und Wellen. Etwa der Dorfkrug, der vom Vorarlberger Thomas Samson und seiner Frau Anne Floto 2016 übernommen wurde. Er war früher als Barkeeper an der „Whiskymeile" von Kampen saisonweise beschäftigt, irgendwann hat es ihn ganz hierher verschlagen. „Die Leute an der Küste und in den Bergen sind ähnlich geprägt." Seine Lieblingsorte liegen am Wasser, wo er surft und wellenreitet. „Die Sandbänke sind nach jedem Sturm neu, die Wellen so, wie sie auch in Frankreich sein könnten." Selbst im Winter kommen Surfer nach Sylt, erzählt Samson. Kunstinteressierte hingegen kommen zu „Falkenstern Fine Art". Das ehemalige Atelier des Malers Siegward Sprotte ist heute eine Galerie – für eigene Werke wie für andere Künstler. Auf einem Kunst- und Kulturpfad spaziert man hier durch das Dorf, vorbei an 32 Bronzestelen. Das Naturerlebnis Kampens ist die Uwe-Düne, 52 Meter hoch und Sylts absoluter Gipfel. 110 Stufen führen hinauf und erlauben eine grandiose Aussicht auf Dünenlandschaft, Meer und Leuchttürme. Unweit davon mauert das Rote Kliff gegen das Meer, eine 30 Meter hohe Steilküste, die im Abendlicht rot leuchtet.

Wohnen. Viele Objekte auf Sylt wie das Landhaus Severin’s sind mit Reet gedeckt.
Wohnen. Viele Objekte auf Sylt wie das Landhaus Severin’s sind mit Reet gedeckt.(c) Landhaus Severins

Mit Aal zum Erfolg. Ganz im Norden der Insel, in List, beeindrucken weitläufige, geschützte Dünenlandschaften, Heideflächen und der sogenannte Ellenbogen, eine schmale Halbinsel, die nur von Seehunden, Vögeln und Schafen bewohnt wird und auf der sich die Wanderdüne jährlich einige Meter weiterbewegt. Hier begründete Günter Gosch sein Fischrestaurant-Imperium. Obwohl gelernter Maurer, verkaufte er in den 1960ern Aalbrötchen an die Touristen am Strand, ein Zuverdienst. Bald reichte es für einen eigenen Stand. Heute hat das Unternehmen zahlreiche Restaurants an der Nordsee (allein über zehn auf Sylt), in ganz Deutschland und auf Kreuzfahrtschiffen, die Fischgerichte servieren – mit oder ohne Champagner. So wie Fisch gehören auch Austern zu Sylt, schließlich befindet sich hier Deutschlands einzige Zucht, Dittmeyer’s Austern-Compagnie. Einer von vier Austernfischern im Betrieb ist Ulf: „Wir kultivieren die Pazifische Felsenauster", erzählt er, die habe sich bewährt, während die heimische Auster fast ausgestorben sei. Die Setzlinge liegen bis zu drei Jahre in Säcken auf einer Art Metalltischen im Wasser des Wattenmeers, bis sie die richtige Größe haben. Wenn es das Wetter zulässt, sind er und seine Kollegen jeden Tag draußen, um zu kontrollieren. Zum Überwintern kommen die Muscheln in Wasserbecken. „Eine Million frische Austern, die Sylter Royal, liefern wir im Jahr". Ob er gern Austern isst? „Die Leidenschaft lässt mit den Jahren nach. Am Anfang haben wir oft welche mit nach Hause genommen." Dann öffnet er eine: „Auster rausschlürfen, lange im Mund kauen, links, rechts – dann kommt der Geschmack richtig raus."

»Nicht immer nur Westseite: Morsum ist Sylt für
Fortgeschrittene. «

Während die Orte Westerland und Wennig-stedt an der Westseite mit langen Stränden, vielen Lokalen, Geschäften, Events sowie prächtigen Sonnenuntergängen locken, zeigt sich die Insel an der Wattseite beschaulicher. Der Frühaufsteher kann spektakuläre Sonnenaufgänge erleben. „Jedes Haus redet mit Ihnen", erzählt in Keitum Inselkennerin und Buchautorin Silke von Bremen („Gebrauchsanweisung für Sylt"). Auf den Fassaden der reetgedeckten Friesen- und Kapitänshäuser sind Jahreszahlen, Inschriften und Symbole angebracht. „In einem engen Zeitfenster Ende des 18. Jahrhunderts wurden die meisten der Häuser gebaut, Grund war der enorme wirtschaftliche Aufschwung durch Seefahrt und Walfang", erklärt sie. Oft verweisen die Tafeln auf grausame Geschichten: „Viele Frauen verloren ihre Männer und Söhne ans Meer, an Krankheiten – oder sie setzten sich ab." Die Geschichte des Ortes erschließt sich auch im „Altfriesischen Haus seit 1640" oder im Sylt Museum. Noch ältere Zeugnisse sind die Hünengräber Harhoog und Tipkenhoog aus der Steinzeit.

Neben den Restaurants und Teestuben ist der Genuss-Shop des vom „Gault Millau" zum „Koch des Jahres 2019" gekürten Johannes King eine Versuchung. King (Söl’ring Hof, zwei Michelin-Sterne) hat sich in Keitum sein kleines Paradies eingerichtet. In Shop und Bistro gibt es saisonales Regionales. Im Garten gedeihen Kräuter und Gemüse, aus der Heide, von den Salz- und Schlemmwiesen, holt er wilde Gewächse wie Fette Henne, Schafgarbe, Bronzefenchel, Gundermann, Queller, Blasentang, Sanddorn, Giersch und Heckenrosen. Fisch und Fleisch liefern lokale Produzenten. „Wir wollten kulinarisch etwas verändern. In ganz Deutschland fand man die gleiche Speisekarte, dabei gibt es bei uns alles Mögliche", sagt King.

Kosten. Auf den Austernbänken wird die „Sylter
Kosten. Auf den Austernbänken wird die „Sylter (c) Sylt Marketing/Christian Kerber

Ewig lange Strände mit typischen Strandkörben machen auch den Süden aus, wo bei Hörnum das Meer von zwei Seiten gegen die Landzunge (Odde) prallt. Spaziergänger finden im Sand Feuersteine oder Schalen von heimischen Austern. Der Geologe Ekkehard Klatt erzählt, warum es hier „Sandvorspülungen" braucht: „Wegen der Ausspülung durch das Meer ist die Insel fast auseinandergebrochen. Mit den Sandvorspülungen wird der Sand aus der Nordsee an die Insel he­­rangeschafft und mit Hochdruck an die Strände gespült", erklärt er. „Das findet alle drei bis vier Jahre statt, an manchen Stellen öfter. Da geht es nicht nur um Küsten-, sondern auch um Objektschutz." Hörnum ist dabei ein beliebtes Ziel mit Hafen, Leuchtturm, vielen Ferienwohnungen und der Kegelrobbe Willi, die sich im Hafenbecken gern den Touristen präsentiert.

Farbige Schichten. Schafe, Kühe, Pferde, grüne Flächen  – im Osten Sylts, rund um Morsum, wird Landwirtschaft betrieben. Die Region ist auch vom Nationalpark Wattenmeer umgeben – eine Naturlandschaft aus Heide, die im Spätsommer lila blüht, Schilfgebieten, dem Dünental „Klein-Afrika" und dem Morsum-Kliff, die – fast zwei Kilometer lang und über 20 Meter hoch – verschiedenfarbige Gesteins- und Sandschichten aufweist. „Es gibt drei Schichten: Glimmerton, Limonitsandstein, Kaolinsand", erklärt Juliane, die hier ihr ökologisches Freiwilligenjahr absolviert. „Ihr erlebt hier in zehn Minuten zehn Millionen Jahre Erdgeschichte." Gleichzeitig kann schon ein Sturm, wie zuletzt 2013, das Kliff neu formen.

„Viele Sylt-Besucher kommen in den Westen wegen der Strände", erzählt Olaf Paulat vom Landhaus Severin in Morsum. „Auf die Ostseite kommen sie erst später und stellen fest, dass es hier auch schön ist. Morsum ist Sylt für Fortgeschrittene." Er hat noch einen Tipp: „Die beste Zeit ist außerhalb der Ferien, wenn weniger Leute da sind. Die Nordsee ist eine Naturgewalt. Ist es stürmisch, muss man sich einpacken und an den Strand gehen. Die Frischluft – das ist Er­­holung."

Infos

Hotels: Severin’s Resort & Spa in Keitum: www.severins-sylt.de
Landhaus Severin’s Morsum Kliff, www.landhaus-severins.de/

Einkehr: Dorfkrug Kampen: ­
urban, Bar & Grill, große Weinkarte, www.dorfkrug-kampen.de

Strandoase: in Dünenlage von Westerland, tolle Sonnenuntergänge, www.strand-oase.de

Sansibar: Hüttenzauber in Dünen in Rantum, Fisch und großer Weinkeller, www.sansibar.de

Gosch: Fisch, Fisch, Fisch in List, Wenningstedt und Westerland, www.gosch.de
Johannes King Genuss-Shop in Keitum: Salate, Austern, kleine Gerichte, www.johannesking.de

Infos:www.sylt.de, www.nordseetourismus.de

Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung von Sylt Marketing.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 17.01.2020)

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