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Die Visegrád-Vier nehmen Kurz in ihre Mitte

Kranzniederlegung vor der Prager Karls-Universität, wo sich vor 51 Jahren der Student Jan Palach selbst verbrannte. Viktor Orbán (Ungarn), Sebastian Kurz, Mateusz Morawiecki (Polen), Andrej Babiš (Tschechien) und Peter Pellegrini (Slowakei). (v. l. n. r.).
Kranzniederlegung vor der Prager Karls-Universität, wo sich vor 51 Jahren der Student Jan Palach selbst verbrannte. Viktor Orbán (Ungarn), Sebastian Kurz, Mateusz Morawiecki (Polen), Andrej Babiš (Tschechien) und Peter Pellegrini (Slowakei). (v. l. n. r.).(c) imago images/CTK Photo (Michal Krumphanzl via www.imago-)
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Beim Treffen der Visegrád-Staaten Tschechien, Slowakei, Ungarn und Polen in Prag versuchte sich Kanzler Kurz in der Mittlerrolle. Bei Atomenergie war Spaltung nicht zu leugnen.

Prag. Im Foyer des Nationalmuseums, des neoklassizistischen Prachtbaus, der über dem Prager Wenzelsplatz thront, vertreiben sich die Visegrád-Vier (V4) die Wartezeit auf ihren Ehrengast mit zwanglosem Small Talk. Der Gastgeber, Tschechiens Regierungschef, Andrej Babiš, steht ein wenig steif und angespannt herum. Viktor Orbán dagegen zeigt sich salopp, mit breiter Brust und zu Scherzen aufgelegt. Als Sebastian Kurz die Szenerie betritt, nehmen sie ihn beinahe symbolisch in ihre Mitte. Zu ihrem jährlichen Treffen unter dem Motto „Vernünftiges Europa“ bereiten sie ihm einen herzlichen Empfang, schließlich wollen sie den Bundeskanzler aus Wien ja auch ein wenig vereinnahmen.

Babiš begrüßt ihn mit einer Umarmung und in exzellentem Deutsch, Orbán mit einem jovialen Händedruck, Augenzwinkern und einer Gratulation zur Wiederwahl zum Kanzler. In Budapest hatte er ihn, den „Partner und Freund“, neulich schon mit einer wahren Lobeshymne bedacht. Gemeinsam mit Peter Pellegrini und Mateusz Morawiecki, den Ministerpräsidenten der Slowakei und Polens, gibt das Quintett – zum Großteil – die Erben der Habsburgermonarchie ab. Für Kurz ist es keine Premiere: Im Vorjahr stattete er den V4 in Bratislava bereits eine freundschaftliche Visite bei den „Cousins“ ab.

Das Nationalmuseum atmet tschechische und k. u. k. Geschichte – und der Wenzelsplatz ohnehin. Vor 30 Jahren war er Schauplatz der Samtenen Revolution, vor 51 Jahren Ort der Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch Sowjetpanzer. Zu seinen Ehren legten die Regierungschefs zu dessen Todestag am Donnerstag Blumen an seinem Mahnmal nieder – unter Buhrufen einer schütteren Dutzendschaft aus tschechischen AKW-Gegnern. Bei aller Betonung der Gemeinsamkeiten, von Migration bis Wettbewerbsfähigkeit: In puncto Atomenergie war die Spaltung zwischen Kurz und dem Rest nicht zu leugnen – und niemand machte ein Hehl daraus.

Havel und Walesa als Paten

Fast 30 Jahre ist es auch her, dass Václav Havel und Lech Walesa, die Freiheitshelden und Friedensnobelpreisträger aus Tschechien und Polen, als Präsidenten Pate standen für die Neugründung des Visegrád-Bundes, der auf das 14. Jahrhundert zurückgeht. Nach dem EU- und Nato-Beitritt bekam das Bündnis der mittel- und osteuropäischen Staaten erst durch ihren konzertierten Widerstand gegen die Willkommenskultur in der Flüchtlingskrise Gewicht und Einfluss. Dies offenbarte sich im Juni bei der Bestellung der EU-Kommission und ihrer neuen Chefin. Vorbei sind freilich die Zeiten, da die FPÖ Hals über Kopf eine Mitgliedschaft bei Visegrád forciert und ihren unwilligen Koalitionspartner ÖVP dazu gedrängt hat. „Visegrád plus“, das Lieblingsprojekt des tschechischen Präsidenten, Miloš Zeman, ist passé.

Kurz sieht sich viel lieber in der Mittlerrolle zwischen Brüssel und seinen neuen Mitgliedern, zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Europa. Gleichsam als Sonderemissär hat Ursula von der Leyen, die EU-Kommissionspräsidentin und Parteifreundin, den Kanzler neulich in Brüssel eingesetzt – als Bindeglied und „Brückenbauer“ in heiklen Fragen wie dem „Green Deal“ oder bei den Verhandlungen um ein neues EU-Budget. Gewissermaßen ein weltlicher „Pontifex“. Dass dies zuweilen ein delikates Unterfangen ist, trat bei der Pressekonferenz deutlich zutage.

Mit zwei der V4-Staaten plagen den österreichischen Kanzler bilaterale Probleme, auch innerhalb der Parteifamilie: mit Orbán das Zerwürfnis bei der Europäischen Volkspartei (EVP), die die Mitgliedschaft seiner Fidesz-Partei einstweilen suspendiert hat. Orbán sucht eine Annäherung mit der polnischen PiS, der nationalkonservativen Partei für Recht und Gerechtigkeit; und mit Babiš der an- und abschwellende Dauerkonflikt um das AKW Temelín.

Kurz und Babiš ließen sich davon die Harmonie nicht verderben. Als die anderen Regierungschefs zum Flughafen brausen, bietet Gastgeber Babi?, gebürtiger Slowake, Milliardär mit Zeitungsimperium, zum Ausklang an seinem Regierungssitz, der Villa Kramar auf dem Hradschin, noch einmal das ganz große Protokoll auf: eine militärische Zeremonie samt grandiosem Panoramablick auf Prag – und seine zahlreichen Brücken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2020)

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