Roman

Danilo Kiš: „Ein Kind wurde ermordet“

1960 verfasst, jetzt erst auf Deutsch erschienen: Danilo Kiš' Roman „Psalm 44“ über die Flucht zweier Frauen aus Birkenau. Eine davon findet sich Jahre später im KZ-Tourismus wieder. Minutiös, atemlos und mit ungewöhnlichen Sprachbildern.

Milan Kundera, ein hervorragender Kenner des europäischen Romans und mit einem unanfechtbaren literarischen Geschmack, schätzte ihn schon in den Sechzigerjahren und stellte ihn in eine Reihe mit Denis Diderot, Robert Musil, Hermann Broch und Franz Kafka. Dem deutschsprachigen Publikum wurde er durch die anhaltenden Bemühungen und mehrere Übersetzungen von Ilma Rakusa bekannt. Die Rede ist von dem 1935 geborenen und 1989 gestorbenen jugoslawischen Schriftsteller Danilo Kiš. Wie Ilma Rakusa hat er neben einem südslawischen einen ungarischen Elternteil: Was, wenn nicht dies, prädestinierte beide, als Europäer zu gelten? Jetzt ist mit großer Verspätung in Kiš' deutschem Verlag Hanser sein 1960 geschriebener und 1962 in Belgrad gedruckter Roman „Psalm 44“ in der Übersetzung von Katharina Wolf-Grießhaber erschienen.

„Psalm 44“ handelt von Maria, die mit ihrem Baby und der Mitgefangenen Jeanne aus dem KZ Birkenau flieht. Polja, die Dritte im Bunde, die eben im Lager verstorben ist, müssen die Frauen zurücklassen. Vier Fünftel des Romans nimmt die Vorgeschichte der Flucht ein. Kiš arbeitet mit dem Stilmittel der Zeitdehnung. Jede Sekunde wird minutiös beschrieben, die äußeren Vorgänge, die Gedanken, die geschliffenen Dialoge, die Visionen, die Erinnerungen ersetzen, wie durch eine Lupe betrachtet, eine Handlung, die auf Tempo setzt. Mit wenigen Strichen skizziert Kiš die Nebenfiguren aus der Vergangenheit und der Gegenwart des aus der Sicht Marias erzählten Geschehens.

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