Digitale Ethik

Markus Hengstschläger: „Forschung, Bildung und Talente“

Wer hat Zugang zu welchen Daten, wie kann man Monopole in der digitalen Infrastruktur brechen, und wie sorgt man für Diversität bei Gestaltern des digitalen Wandels? Diese Fragen sind für Markus Hengstschläger wichtig.
Wer hat Zugang zu welchen Daten, wie kann man Monopole in der digitalen Infrastruktur brechen, und wie sorgt man für Diversität bei Gestaltern des digitalen Wandels? Diese Fragen sind für Markus Hengstschläger wichtig.(c) Clemens Fabry
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Wie kann die digitale Transformation für das Allgemeinwohl eingesetzt werden? Der Genetiker Markus Hengstschläger über Chancen und Risken der neuen Technologien.

Die Presse: Die Digitalisierung hat in den vergangenen Jahren nahezu jeden Lebensbereich durchdrungen. Die Prognosen, wohin das führen wird, schwanken von fortschrittsgläubigem Jubel bis hin zu alarmistischen Untergangsszenarien. Zu dem Thema leiten Sie kommenden Dienstag auch eine Podiumsdiskussion des FTE-Rates (s. u.). Worin sehen Sie die größten Herausforderungen dieses Wandels und warum braucht es eine digitale Ethik?

Markus Hengstschläger: Ich sehe enorme Chancen in der digitalen Transformation, die sogar noch besser nutzbar gemacht werden kann, wenn dabei ein paar wesentliche Aspekte berücksichtigt werden. Als Erstes muss man sich darüber Gedanken machen, wer in Zukunft Zugang zu welchen Daten hat. Auf der einen Seite muss man natürlich Datenschutz und Privatsphäre auf höchstem Niveau sicherstellen. Das Ziel muss immer sein, dass der Mensch dabei im Mittelpunkt bleibt. Aber auf der anderen Seite ist es für die Wissenschaft sehr wertvoll, Daten z. B. im Gesundheitssektor verwenden zu können. Und daher wünschen sich viele einen unter transparenten Regeln stehenden Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten.

Sie meinen für die Forschung?

Ja – im Sinne des Gemeinwohls, beispielsweise für medizinische Forschung. Das gilt für Daten, die im öffentlich geförderten akademischen Bereich generiert werden, sollte aber auch für solche angedacht werden, die sich im Besitz von Firmen befinden. Es geht darum, sie – natürlich entsprechend anonymisiert – verwenden zu können.

Wie soll man Unternehmen dazu bringen, Daten dem Gemeinwohl zur Verfügung zu stellen?

Ich denke, es ist im Sinne der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Bevölkerung, wenn hierbei eine unter Regeln gestellte Interaktion stattfinden kann, um etwa neue Therapien für Erkrankungen entwickeln zu können. Ebenfalls ein wichtiger Punkt: Es braucht für Suchmaschinen, digitale Kommunikationsinfrastrukturen etc. eine möglichst hohe Vielfalt an Anbietern – private, staatliche, öffentlich-rechtliche – nebeneinander. Zu starke private Monopole aus dem Silicon Valley sind ethisch genauso zu hinterfragen wie beispielsweise staatliche digitale Überwachungskonzepte in China.

Es braucht also so etwas wie ein staatliches Facebook?

Was auch immer man dabei andenkt – ich glaube, dass langfristig gesehen die vielen positiven Aspekte der Digitalisierung umso mehr zum Tragen kommen können, je höher die Wahlfreiheit der Menschen ist.

Das erfordert aber auch die entsprechende Bildung bei den Benutzern.

Genau, digitale Bildung spielt natürlich eine zentrale Rolle. Sowohl beim Programmieren selbst als auch, um innovative Anwendungen – etwa von künstlicher Intelligenz – entwickeln zu können, benötigt man eine möglichst hohe Vielfalt an verschiedenen Talenten. Um versteckte Diskriminierung in Algorithmen zu erkennen und zu verhindern, sind Bias Awareness (Bewusstsein für Verzerrungseffekte, Anm.) und Diversitätstraining wichtig. Und es braucht natürlich viel Kreativität, um verschiedenste vielfältige Innovationen mittels dieser neuen Ansätze generieren zu können. Dazu sind technologische Innovationen in Kombination mit sozialen Innovationen, IT gemeinsam mit Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften nötig.

Braucht es eine Art IT-Allgemeinbildung für jedermann?

Es müssen nicht alle zu IT-Spezialisten ausgebildet werden, aber gewisse Grundkenntnisse sind in Zukunft unverzichtbar. Man muss vor allem unterrichten, wie man mit Informationen richtig umgeht. Wie recherchiert man richtig, was ist eine Quelle, was ist eine Filterblase und was sind Fake News – erst das Wissen über diese und viele andere Fragen fördert die Bewertungskompetenz, die Entscheidungskompetenz und letztendlich die Autonomie der Menschen. Es braucht Bildung, damit in diesem Transformationsprozess auch niemand zurückbleibt.

Wann sollte diese beginnen?

Schlagend wird es ab dem Moment, in dem Menschen beginnen, digitale Angebote zu nutzen oder ihre Entscheidungen von digitalen Quellen abhängig zu machen.

In welchen Bereichen sind durch die Digitalisierung die größten Veränderungen für das Leben der Menschen zu erwarten?

Hier kommt mein persönlicher Bezug zur digitalen Transformation ins Spiel. Aktuelle Diskussionen in der medizinischen Genetik kreisen heute nahezu täglich um Begriffe wie Präzisionsmedizin, künstliche Intelligenz, Big Data, Predictive Analytics und dergleichen. Wir befinden uns derzeit an einer Schwelle. Es wird möglich sein, die Kombination vieler Befunde, etwa aus der Genetik, der Radiologie oder der Labormedizin, gemeinsam mit anderen klinischen Befunden durch künstliche Intelligenz zu einer Interpretation zu gießen. Das wird die Medizin fundamental verändern.

Könnten Sie das ein wenig konkretisieren – was heißt das für den Einzelnen?

Früher wurden alle Patientinnen und Patienten mit einer bestimmten Erkrankung zu oft als gleich betrachtet. Heute ist aber klar, dass aufgrund der Individualität des Erbguts, aber auch anderen Faktoren wie der Lebensweise jeder Mensch eine Erkrankung individuell entwickeln kann. Oder zum Beispiel Medikamente individuelle Wirkungen zeigen können. Auch unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz will die Wissenschaft in Zukunft daher neue, präzisere und personalisierte prophylaktische und therapeutische Konzepte entwickeln.

Wie steht es hier um die Einhaltung ethischer Richtlinien?

Im Bereich der medizinischen Genetik kommt in Österreich das Gentechnikgesetz zum Tragen, das klar regelt, was man darf und was nicht – in der Forschung und auch im Zuge der Patientenbetreuung. Wer z. B. genetische Diagnostik betreiben will, braucht dafür eine entsprechende Genehmigung. Ärztinnen und Ärzte führen ausführliche genetische Beratungen durch, einer genetischen Diagnostik muss man schriftlich zustimmen. Das Ziel ist, für Patientinnen und Patienten die notwendige Bewertungs- und Entscheidungskompetenz zu ermöglichen. Das Gentechnikgesetz beinhaltet auch klare Regelungen betreffend Datenschutz. Sehr wichtig ist auch das Recht auf Nichtwissen: Es kann niemand in Österreich dazu verpflichtet werden, eine genetische Diagnostik durchführen zu lassen.

Ist die österreichische Gesetzgebung also für den digitalen Wandel vorbereitet?

Das österreichische Gentechnikgesetz ist ein Beispiel für einen gelungenen rechtlichen Rahmen in einem bestimmten Bereich. In der EU gibt es eine Datenschutzgrundverordnung. Aber wir brauchen einen Ansatz, der eines Tages alle Aspekte der digitalen Transformation weltweit regelt. Die juristische Gratwanderung aus Ermöglichen und Regulieren ist natürlich nie einfach, die Umsetzung in der Praxis ist vielleicht noch schwieriger.

Zu welchen Maßnahmen würden sie der neuen Regierung raten?

Einerseits möglichst viel Forschung, Entwicklung und Anwendung zu ermöglichen, um die großen Chancen der digitalen Transformation nutzbar zu machen – über Finanzierung und Bereitstellung der richtigen Rahmenbedingungen für die Forschung. Und die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen umzusetzen und z. B. auch zu diskutieren, wer dann bei Entscheidungen basierend auf KI haftet. Außerdem sollte man auch die notwendige breite ethische Diskussion dieser Themen – unter anderem auch durch die Einsetzung eines neu strukturierten Ethikrates – fördern.

ZUR PERSON

Markus Hengstschläger ist Professor und Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Med-Uni Wien sowie stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission und des Rats für Forschung und Technologieentwicklung, Mitglied des Universitätsrats der Uni Linz und Leiter des Thinktanks Academia Superior. Hengstschläger ist darüber hinaus auch als Unternehmer tätig und leitet die genetische Abteilung des „Wunschbaby Institut Feichtinger“.

Der Rat für Forschung und Technologieentwicklung (FTE) berät die österreichische Bundesregierung in allen Fragen der Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik. Am Dienstag, den 21. Jänner, um 17 Uhr veranstaltet der FTE-Rat im Urania-Dachsaal in Wien eine Podiumsdiskussion zum Thema „Ethische Herausforderungen im digitalen Zeitalter“, die von Markus Hengstschläger geleitet wird und in der zentrale Fragen einer digitalen Ethik diskutiert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2020)

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