Nordafrika

Borrell für europäische Soldaten in Libyen

Deutschlands Außenminister maas traf am Donnerstag im libyschen Bengasi den Kriegsherren Khalifa al-Haftar.
Deutschlands Außenminister maas traf am Donnerstag im libyschen Bengasi den Kriegsherren Khalifa al-Haftar.(c) via REUTERS
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Der neue Hohe EU-Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik macht vor der Berliner Libyen-Konferenz Druck auf die Mitgliedstaaten. Er warnt davor, dass Russland und Türkei Migrantenströme nach Europa steuern könnten.

Brüssel/Wien. In klarer Abgrenzung zu seinen beiden stets den Einsatz militärischer Mittel ablehnenden Vorgängerinnen hat der neue Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, am Freitag die Entsendung europäischer Truppen nach Libyen zur Debatte gestellt. „Wenn es einen Waffenstillstand in Libyen gibt, dann muss die EU bereit sein, bei der Umsetzung und der Überwachung dieses Waffenstillstands zu helfen – eventuell auch mit Soldaten, etwa im Rahmen einer EU-Mission“, sagte Borrell in einem Interview mit dem „Spiegel“.

Diese Äußerung des Chefs des diplomatischen Dienstes der EU dürfte die eigene Bürokratie überrascht haben. Denn keine drei Stunden vor der Veröffentlichung des Interviews sagte ein hoher EU-Diplomat auf die Frage der „Presse“, wie sich das zu Wochenbeginn ebenfalls von Borrell erwähnte Risiko vermeiden ließe, dass die Türkei und Russland die libyschen Häfen und somit den Strom von Migranten und Flüchtlingen nach Italien kontrollieren könnten, pikiert: „Schlagen Sie vor, dass die EU in Libyen Kanonenbootpolitik betreiben soll? Das ist nicht das herkömmliche Vorgehen der EU.“

„Ohne Russland geht es nicht“

Doch das „herkömmliche Vorgehen der EU“ – Besorgnis ausdrücken, auf Gewaltlosigkeit pochen, zum Dialog aufrufen – ist laut einem am Freitag in italienischen Medien lancierten Plan keine Methode, um den Krieg zwischen mehreren Milizen, die jeweils von ausländischen Mächten unterstützt werden, zu beenden. Ein andauernder Waffenstillstand in Libyen, den eine zivile EU-Mission garantieren soll – und später erst die Entsendung von Truppen. Die Soldaten sollen die Milizen entwaffnen und ein Waffenembargo überwachen, um so den Weg zu einer Regierung der nationalen Einheit zu ermöglichen: die Berliner Friedenskonferenz soll am Sonntag diese Pläne realisieren.

Die Liste der Teilnehmer der Konferenz am Sonntag, die auf Initiative des deutschen Außenministers, Heiko Maas, unter Ägide der Vereinten Nationen stattfindet, bringt erstmals alle Kriegsparteien und ihre Sponsoren an einen Tisch: Russlands Präsident Wladimir Putin, sein türkisches Pendant Recep Tayyip Erdoğan, hochrangige Vertreter Ägyptens, Saudiarabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate. Vor allem auf die Teilnahme der beiden libyschen Protagonisten des Kriegs setzt Maas hohe Erwartungen. Der abtrünnige General Khalifa al-Haftar hat versprochen, die Feuerpause zu respektieren. Er wird von Russland mit Söldnern und anderweitig militärisch unterstützt, die Emirate, die Saudis und Ägypten sind ebenfalls auf seiner Seite, auch mit illegalen Waffenlieferungen; Frankreich setzt gleichfalls auf ihn. Demgegenüber ist die international anerkannte Regierung unter Premierminister Fayiz al-Sarraj, welche die Türkei und Italien hinter sich weiß, allerdings derzeit nur mehr den Großraum um die Hauptstadt Tripoli kontrolliert.

„Das Risiko des Scheiterns ist weiterhin nicht unbeträchtlich“, gab am Freitag ein EU-Botschafter zu bedenken. In einem ersten Schritt sollten jene „Auswärtigen, die da ihre Finger drin haben“, zur Beilegung der Feindseligkeiten verpflichtet werden. „In einem zweiten Schritt will man dann mit den beiden Konfliktparteien direkt reden.“ Eine Schlüsselrolle zur Befriedung des seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi im Oktober 2011 im Bürgerkrieg befindlichen Landes komme Putin zu, sagte der EU-Botschafter: „Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass wir das ohne Russland nicht hinbekommen. Das ist leider die Realität.“

Die deutsche Regierung hofft laut dem in italienischen Medien zitierten Entwurf der Schlusserklärung darauf, dass die Konferenz zur Entstehung einer „neuen Regierung der nationalen Einheit, die die Kontrolle über das gesamte Territorium ausübt“ beiträgt. Doch die Differenzen sind groß. Wie genau die Mission aussehen soll, welche die Einhaltung des Waffenstillstands garantiert und den politischen Friedensprozess begleitet, bleibt etwa weiterhin offen.

Gleich am Tag nach der Konferenz sind die Außenminister der EU-Staaten am Zug. Borrell soll dann Details zu seinen Plänen vorstellen. Vorbereitet hat er offenbar zwei Optionen: Eine Möglichkeit ist eine zivile EU-Mission, die bereits in den nächsten Wochen ins Bürgerkriegsland geschickt werden könnte. Vorbild ist der Einsatz in Georgien nach dessen Neun-Tage-Krieg mit Russland im Sommer 2008. Für so eine EU-Mission brauchte es allerdings ein internationales Mandat – und das grüne Licht der libyschen Machthaber.

Eine zweite Option ist eine Militärmission unter UN-Ägide. Vorbild könnte die UN-Mission im Libanon (Unifil) sein. Die Umsetzung des Militäreinsatzes ist komplizierter: Notwendig wäre das grüne Licht des UN-Sicherheitsrats sowie der nationalen Parlamente in vielen Staaten, welche Truppen zu entsenden bereit wären. Im Gegensatz zur zivilen Option, sollen auch nichteuropäische Staaten (möglicherweise aus Asien und Afrika) teilnehmen. Vorgesehen ist eine rotierende Führung des Einsatzes. Er würde auch den Aufbau einer neuen libyschen Armee unterstützen.

Rückkehr für Operation Sophia

Die militärische Option sähe auch den Einsatz von Marine und Luftwaffe vor. Hier käme der EU-Mittelmeermission namens Operation Sophia eine Schlüsselrolle zu. Sie hatte bis Frühling 2019 mehrere Schiffe im Einsatz, um gegen Waffen-, Menschen- und Ölschmuggler vorzugehen, die das Chaos in Libyen ausnutzen. Auf Druck des damaligen rechtsautoritären italienischen Innenministers, Matteo Salvini, hat Sophia seit damals keine Schiffe mehr; denn sie pflegten auch schiffbrüchige Migranten in italienische Häfen zu bringen.

Italiens neue Regierung, der Salvini nicht angehört, wäre aber nur dann zu einem neuen Mandat für Sophia bereit, wenn diese gerettete Migranten nicht automatisch nach Italien brächte. „Nehmen Sie das Waffenembargo. Wir Europäer sind von den Vereinten Nationen damit betraut worden, es durchzusetzen. In Wahrheit ist das Waffenembargo ineffektiv. Niemand kontrolliert da irgendetwas“, sagte Borrell zum „Spiegel“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2020)

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