Interview

Sammlung Verbund: Kunst mit Tiefgang

Gabriele Schor, Direktorin der Verbund-Sammlung, vor Lawrence Weiners Arbeit „Auf eine Art & Weise“
Gabriele Schor, Direktorin der Verbund-Sammlung, vor Lawrence Weiners Arbeit „Auf eine Art & Weise“(c) Caio Kauffmann
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Wie man eine Firmensammlung von internationaler Bedeutung aufbaut und dabei auch noch eine ordentliche Wertsteigerung erwirtschaftet, erzählt Direktorin Gabriele Schor.

Das Engagement für die Kunst gehört heute bei Unternehmen fast schon zum guten Ton. Dabei geht es nicht nur um den rein dekorativen Zweck, sondern um Präsentation, Kommunikation und Mäzenatentum. Der österreichische Verbund ist ein gutes Beispiel, wie man eine Sammlung aufbauen kann, die weit über die Grenzen Österreichs hinaus Anerkennung findet und  dabei eine interessante Wertsteigerung abliefert. Die Zutaten dazu sind eine engagierte Direktorin samt Beirat und ein Vorstand, der diesem Team absolut freie Hand lässt. „Tiefe statt Breite“ ist der Grundsatz der Sammlung. Nach diesem Motto konzentriert sich die seit 2004 bestehende Kollektion auf Werke und Positionen der 1970er-Jahre.

Frau Schor, die Sammlung Verbund gibt es nun seit 15 Jahren. Dabei ist es Ihnen gelungen, eine Sammlung zusammenzustellen, die sehr oft international ausgestellt wird. Was steckt hinter diesem Erfolg?

Gabriele Schor: Der Verbund fördert Projekte im sozialen, sportlichen und kulturellen Bereich. Bei der Kunst war es eine Grundsatzentscheidung, das nicht in Form von Sponsoring zu tun, sondern durch Kulturarbeit. Ich habe im Vorfeld schon ein Konzept erarbeitet. Damit hat die Sammlung einen roten Faden. Und es war von Beginn an festgehalten, dass wir auch wissenschaftliche Arbeit leisten und Publikationen dazu machen. Es ist auch ganz wichtig, dass der Vorstand der Sammlung komplett freie Hand gibt.

Das Prinzip lautet Tiefe statt Breite. Was ist damit gemeint?

Als wir die Sammlung gründeten, war unser Anspruch, eine unverkennbare Identität zu schaffen und dabei weniger vereinzelte Werke, sondern mehr Werkgruppen anzukaufen, um einen tiefgehenden Einblick in eine bestimmte Schaffensperiode einer Künstlerin oder eines Künstlers zu ermöglichen. Wir haben uns entschieden, die 1970er-Jahre ins Zentrum der Sammlung zu stellen, diese aber auch in Dialog mit aktuellen Strömungen zu setzen. Die Siebziger waren ein Jahrzehnt des Umbruchs. Einerseits hat die 68er-Bewegung zu sexueller Freiheit geführt, andererseits hat es auch in der bildenden Kunst völlig neue Ausformungen gegeben. Fotografie, Video und die Konzeptkunst mit ihren Installationen haben sich erstmals als eigenständige Medien zu entwickeln begonnen. Es war auch das Jahrzehnt, in der die Frauen in der Kunst ihre eigene Identität fanden. Die Malerei war männlich dominiert. Auch deshalb haben viele Künstlerinnen als neues Medium die Fotografie entdeckt und auch erstmals damit begonnen, ihren eigenen Körper in die Kunst einzubringen. Wir haben uns entschieden, zwei Schwerpunkte zu setzen, die die 1970er prägten: die „Feministische Avantgarde“ und Wahrnehmung von Räumen und Orten.

Wie schnell hat sich die Sammlung entwickelt?

Zu Beginn recht schnell. Wir hatten ein jährliches Ankaufsbudget von einer Million Euro. 2007 haben wir im Museum für angewandte Kunst (MAK) die Ausstellung „Held together with water“ gemacht. Es war unsere erste Ausstellung. Bis dahin hatten wir schon 250 Werke angekauft. Heute besitzt die Sammlung 777 Kunstwerke.

Höre ich da heraus, dass das Ankaufsbudget inzwischen niedriger ist?

Ja leider. Die Million Euro hatten wir nur die ersten fünf Jahre. 2009 wurde es halbiert, 2014 ist es auf 370.000 Euro gekürzt worden. Auch in den Folgejahren wurde weiter gekürzt. Heuer haben wir nur noch 150.000 Euro zur Verfügung.

Das ist wenig Geld am heutigen Kunstmarkt. Wird die Sammlung in Frage gestellt? Es steht ja ein Vorstandswechsel an.

Nein, der gesamte Vorstand steht hinter der Sammlung Verbund. Generaldirektor Wolfgang Anzengruber war von Beginn an bei der Ausstellungseröffnung der „Feministischen Avantgarde“ dabei. Auch der Stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Michael Strugl, hat sich schon im Sommer 2019 in Barcelona, wo wir die „Feministische Avantgarde“ zeigten, mit der Thematik vertraut gemacht und war begeistert, dass die Sammlung international so erfolgreich ist. Ich bin zuversichtlich, dass die Phase der Dürre eine vorübergehende sein wird. Denn beim Sammeln geht es nicht um Akkumulation, sondern um strategisches Denken. Der Erfolg der „Feministischen Avantgarde“ ist unter anderem entstanden, weil mir ein Alleinstellungsmerkmal für die Sammlung Verbund wichtig war. Dieses zu erarbeiten braucht Zeit, Forschung, Kontinuität und Weitblick.

Kunst ist ein gutes Investment. Wie hat sich der Wert der Sammlung entwickelt?

Ich kann es für die Periode bis 2012 sagen. Wir haben sieben Millionen investiert und der Wert der Sammlung wurde 2012 mit 12 Millionen Euro ermittelt – also eine Wertsteigerung in neun Jahren um 70 Prozent. Und das, obwohl wir nicht nach dem Kriterium der Wertsteigerung sammeln, sondern wissenschaftliche Überlegungen im Vordergrund stehen.

Kommen wir auf die „Feministische Avantgarde“ zu sprechen. Sie haben den Ruf, Pionierarbeit geleistet zu haben. Wie definieren Sie „Feministische Avantgarde“?

Es geht nicht um Künstlerinnen, die eine feministische Überzeugung vertreten, sondern um Künstlerinnen, die den Feminismus in ihre Kunst einfließen lassen. Diese Künstlerinnen haben zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst das Bild der Frau neu geschaffen, radikal aus der Sicht der Frau. Valie Export, die mit ihren Aktionen im öffentlichen Raum wie „Tapp- und Tastkino“ und „Genitalpanik“ in Österreich als Galionsfigur der feministischen Kunstbewegung gilt. Oder Renate Bertlmann, die humorvoll in psychoanalytische Tiefen einer patriarchalen Gesellschaft vordringt und die Verdrängung von Erotik und Sexualität aufspürt. Frauen wehrten sich gegen die eindimensionale Rollenzuschreibung als Hausfrau, Ehefrau und Mutter. Birgit Jürgenssen etwa verkleidet sich in ihrer Fotoperformance als Hausfrau, drückt ihr Gesicht und ihre Hände gegen eine Glastür, auf die sie schreibt: Ich möchte hier raus.

Viele Künstlerinnen waren zum Zeitpunkt, als Sie sie kauften, am Markt kaum vertreten. Wie sind Sie an die Werke gekommen?

Das war viel Recherche. Ich habe Hunderte alte Kataloge durchgeblättert, um auf Werke und Künstlerinnen zu stoßen. Viele Arbeiten habe ich von Dachböden oder aus Archiven ausgegraben. Selbst bei Cindy Sherman, einer der wenigen Künstlerinnen, die international gut positioniert sind, befanden sich die frühen Scherenschnittarbeiten der 1970er-Jahre in Schuhschachteln. Sie sind bisher vom Markt gänzlich ignoriert worden. Deshalb war es mir auch so wichtig, das künstlerische Werk der Frauen wissenschaftlich aufzuarbeiten. Für die österreichischen Künstlerinnen Birgit Jürgenssen und Renate Bertl-mann haben wir die erste Monografie erarbeitet. Diese Bücher haben wesentlich dazu beigetragen, dass ihre Werke auch international bekannt wurden. Heute befinden sich ihre Arbeiten in der Tate Gallery in London, im Centre Pompidou in Paris und im Museum of Modern Art in New York.

Heute boomt Kunst von Frauen. Ich nehme an, das erklärt auch die große Wertsteigerung der Sammlung?

Absolut. Nehmen wir als Beispiel die Arbeiten von Jürgenssen. Als ich sie 2004 für die Sammlung gekauft habe, habe ich zwischen 1800 und 6400 Euro für die Vintagefotografien bezahlt und 10.000 bis 20.000 Euro für die Zeichnungen. Heute hat sie die Galerie Hubert Winter im Programm und verlangt 16.000 Euro für Fotos, ab 45.000 Euro für Zeichnungen und 120.000 Euro für Skulpturen. Ähnlich ist das bei Bertl-mann. Die Zeichnung „Frau“ habe ich 2009 um 2660 Euro gekauft, Fotos für 2000 bis 5000 Euro. Heute gibt es Vintagefotografie nicht mehr unter 10.000 Euro, Objekte fangen bei 25.000 Euro an und Malerei bei 60.000 Euro. International werden ihre Werke sogar für ein paar 100.000 Euro verkauft.

Sprechen wir noch über den Bereich „Wahrnehmung von Räumen und Orten“...

Diesen Bereich haben wir drei Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, einmal davon im Ausland, in Brüssel 2016. Die Anfänge liegen ebenfalls in den Siebzigern. Da begannen die Künstler aus ihren Ateliers herauszukommen und Konzeptkunst zu machen. Hier ist etwa Gordon Matta-Clark und Fred Sandback zu nennen, mit ihrer Verräumlichung der Kunst, die das Werk von seinem Dingcharakter befreite. Das zeigt sich auch in Olafur Eliassons Auseinandersetzung mit ephemeren Naturphänomenen wie Licht, Dampf oder Luft. Eliassons Arbeit „Yellow Fog“ kann man täglich bei Sonnenuntergang entlang der Fassade des Verbund-Gebäudes erleben. Und natürlich Lawrence Weiner mit seiner Textarbeit „Held together with water“ am Boden im Verbund-Foyer. Das ist so etwas wie unser Maskottchen.

Wie haben sich hier die Preise entwickelt?

Weiners Arbeit im Foyer haben wir 2004 für 67.500 Euro gekauft. Heuer wurde die Textarbeit am Wiener Flackturm „Smashed to pieces (in the still of the night)“ für 225.000 Euro an eine Privatsammlung verkauft. Eine sechsteilige Fadenarbeit von Fred Sandback haben wir 2004 um 85.000 Euro erstanden. Eine vergleichbare Arbeit gibt es heute nicht mehr am Markt, weil der Künstler 2003 verstorben ist und wir die Werke noch zu seinen Lebzeiten gekauft haben. Die Werke aus seinem Nachlass kosten heute zwischen 200.000 und 350.000 Euro. Wir haben übrigens die größte Sandback-Sammlung. Louise Lawler, eine bedeutende Konzeptkünstlerin, die Raum mit dem Medium der Fotografie erkundet, haben wir früh erworben. Eine typische Arbeit auf Hochglanzpapier von 2002 hat uns 2004 16.200 Euro gekostet. Eine vergleichbare Arbeit wurde im Vorjahr bei Christie's für 56.000 Euro verkauft.

Wie geht es weiter mit der Sammlung?

Thematisch bleibt es gleich, aber wir konzentrieren uns auf drei Künstlergenerationen: 1970er-Jahre Künstler, Mid Career-Künstler und die Jungen.

Steckbrief

Gabriele Schor arbeitete nach ihrem Philosophiestudium an der Tate Gallery in London. 1996 kuratierte sie eine Barnett-Newman-Ausstellung für die Staatsgalerie Stuttgart und die Albertina in Wien. Danach lehrte sie Moderne Kunst und Kunstkritik an den Universitäten Graz, Salzburg und Wien. Seit 2004 leitet sie die Sammlung Verbund.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2020)

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